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«Kitz» zeigt das andere Kitzbühel

Während in Kitzbühel wieder das Hahnenkamm-Rennen ansteht, zeigt die Netflix-Serie «Kitz» das Wintersport-Mekka von einer ganz anderen Seite.

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Kitz

Die Netflix-Serie «Kitz» wartet mit vielen unverbrauchten Nachwuchstalenten auf.

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Es ist einer dieser Orte, dem ein mehr als glanzvoller Ruf vorauseilt: Kitzbühel! Das «Aspen der Alpen», die «Hamptons von München», Mekka des internationalen Jetsets. Jedes Jahr zur Wintersaison fallen die Superreichen in die malerische 8'000-Seelen-Ortschaft ein, um exzessiv zu feiern. Und dazu: Pelze shoppen, Stretchlimo fahren, Blattgold auf dem Frühstücksei, Champagner (morgens, mittags, abends, zwischendurch, immer), Helikopterlandeplatz – hier bewahrheitet sich so manches Klischee.

Vor zwei Jahren fanden die beiden jungen Filmemacher Vitus Reinbold und Nikolaus Schulz-Dornburg zusammen, um im Auftrag von Netflix eine Young-Adult-Show zu erschaffen, wie sie es so noch nie in Deutschland gegeben hat. Beide einte die Lust auf eine Geschichte rund um alpinen Glamour, Glitzer und mitreissende Thriller-Elemente. Eine deutsche Hochglanz-Serie, die «zur Abwechslung mal nichts mit DDR oder Krieg zu tun hat», so Nikolaus Schulz-Dornburg. Stattdessen liessen die beiden ihre sehr persönlichen Erfahrungen mit der illustren Münchner Schickeria mit einfliessen.

Warum habt ihr euch für Kitzbühel als Schauplatz für euer Young-Adult-Mystery-Drama entschieden? Worum geht es im Kern? 

Nikolaus: Kitzbühel ist ein Skiparadies, das den internationalen Jetset fesselt, bloss anderthalb Stunden von München entfernt. Der selbsternannte Nobelvorort der Reichen. In «Kitz» prallen zwei Gesellschaftsschichten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten: die Superreichen, die jedes Jahr in Kitzbühel einfallen, exzessiv feiern und so tun, als würde alles ihnen gehören, und die Ortsansässigen, die das einerseits aushalten müssen und gleichzeitig auch irgendwo davon profitieren. Auch die komplizierte Beziehung zwischen Deutschland und Österreich spielt mit hinein. Diese Hassliebe ist das dominierende Gefühl von «Kitz». Es geht um Luxus und Wohlstandsverwahrlosung, um Rache und Selbstfindung, um Cancel Culture, Protz und Drogen.

Wie seid ihr an die Insights aus der Münchner Schickeria gekommen?

Nikolaus: Ich bin selbst in Bogenhausen aufgewachsen und gar nicht so weit weg von einigen Protagonisten. Ich bin also eher der Münchner Schnösel. Vitus kommt ursprünglich aus‘m Dorf, ist also der «Dorfi» von uns beiden (lacht). 
Ich war früher oft in Kitzbühel, weil Eltern von Freunden dort Chalets haben. Die Spannungen zwischen den Dorfbewohnern und den Gästen habe ich immer gespürt. Mich interessierte schon damals: Was fehlt den reichen Kids? Oft sind das Liebe und Anerkennung. 

Vitus: Die Deutschen haben ein ganz anderes Verhältnis zu Geld als zum Beispiel die Amerikaner. Dort wird es gefeiert, wenn jemand erfolgreich ist. Hier werden Reiche eher kritisch beäugt. Man hat Vorurteile ihnen gegenüber, ohne sie zu kennen. Ich habe das selbst erlebt: In München brachte mal ein Freund jemanden ins Restaurant mit, der erst mal eine Flasche Champagner für alle bestellt hat. Statt mich zu freuen, hielt ich ihn für einen Vollidioten, der es nötig hat, sich Freunde zu kaufen. Später stellte sich heraus, dass er ein richtig lieber, total korrekter Typ war.

Ich höre heraus, dass auch ihr der Anziehungskraft der Reichen zum Teil verfallen seid.

Vitus: Gerade mit Anfang 20, wenn du selbst noch nicht weisst, wo du hingehörst, willst du auf solchen Partys dabei sein, wie sie Vanessa in Folge 1 feiert. Auf der einen Seite denkst du: Das ist alles total drüber! Was sind das für Leute? Peinlich, diese Selbstinszenierung. Trotzdem willst du ein Teil davon sein. 

Nikolaus: Ein Freund von mir, dessen Eltern eine Villa im Münchner Luxusbezirk Grünwald besassen, hatte immer Tickets für den FC Bayern München, immer die neueste Playstation – aber seine Eltern waren nie für ihn da. Es wurde alles mit Geld kompensiert. Er war auf gewisse Weise arm.

Vitus: Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich mal ein kostenloses Upgrade in die Business Class bekam – Kurzstrecke von Berlin nach München. Etwas, wovon man eigentlich denkt, das braucht kein Mensch. Aber als mir die nette Stewardess ein echtes Glas reichte und Champagner eingoss, dachte ich: Oh, ist ja doch ganz geil. So geht es auch Lisi in der Serie. Sie will die Reichen hassen, aber ist gleichzeitig fasziniert.

Inwieweit setzt eure Show international neue Massstäbe für deutsche Produktionen?

Vitus: Wir wollten mit «Kitz» eine richtig unterhaltsame deutsche Young-Adult-Serie erzählen, die einfach Spass macht. Die Netflix-Serie «Élite» war die spanische Art, «Gossip Girl» neu zu erzählen. Jetzt kommt unsere deutsche, ganz eigene Version einer solchen Show – in einem spektakulären alpinen Setting. 

Nikolaus: Wir wollten eine Welt zeigen, die anders ist als alles, was sonst aus Deutschland kommt – statt Wald, Berlin, DDR und Krieg lieber Glitzer und Glamour in den «Hamptons von München», mit interessanten Charakteren, die uns fesseln.

Wie habt ihr den Cast an Kitzbühel herangeführt? Habt ihr einen Betriebsausflug gemacht und heimlich die Schickeria und Einheimischen beobachtet?

Vitus: Wir sind mit unseren Drehbuchautoren für ein Wochenende nach Kitzbühel gefahren. Die erste Leseprobe mit dem Cast fand ebenfalls dort statt. Unsere Hauptdarstellerin Sofie Eifertinger wäre am liebsten für zwei Wochen in eine Tiroler Familie gegangen, um deren Leben hautnah mitzuerleben, aber wegen der Kontaktbeschränkungen ging das leider nicht. 

Nikolaus: Wir haben ja mitten im Lockdown gedreht, von November 2020 bis Februar 2021. Kitzbühel war deshalb nicht so überlaufen. Wir haben den Wahnsinn während des Hahnenkamm-Rennens, wenn 80’000 Leute mit ihren Bentleys und Nerzmänteln dort einfallen, also gar nicht miterlebt.

Gab es reale oder fiktive Vorbilder für eure Figuren?

Vitus: Wir haben uns von unseren Freundeskreisen und eigenen Erlebnissen inspirieren lassen. Es steckt ganz viel von uns selbst oder von Leuten, die wir kennen, in den Charakteren. Für die reiche Influencerin Vanessa haben wir auf Social Media recherchiert und uns von einer echten Influencerin inspirieren lassen, der wir gefolgt sind. Total verrückt: Nach Drehschluss hat diese Influencerin plötzlich denselben Hashtag – #escapefromreality – gepostet, den Vanessa in der Serie benutzt und der auch das Motto ihrer grossen Silvesterparty ist. 

Nikolaus: Natürlich überlegt man zu Beginn: Welche krassen Charaktere, Typen und Anekdoten kennen wir? Das ist aber nur der Startpunkt, danach beginnt man die Figuren weiterzuentwickeln, schärft die  Züge und am Ende entsteht etwas völlig Eigenständiges.

Eine wichtige Nebenhandlung ist die queere Lovestory zwischen dem in einfachen Verhältnissen aufgewachsenen Hans und dem reichen Erben Kosh, die selbstbewusst ihre Sexualität leben. Wie wichtig war euch das Thema Diversity insgesamt?

Vitus: Extrem wichtig. Ich bin selber schwul und wollte so eine queere Liebesgeschichte unbedingt mal ein bisschen anders erzählen, mich nicht am klassischen Coming-Out entlang hangeln. Der Konflikt zwischen Hans und Kosh ist universell. Hans ist ein junger Mann, der seinen Platz in der Welt noch sucht und Kosh ist jemand, der eigentlich ein Zuhause braucht. Dass sie schwul sind, ist Teil ihrer Figuren, definiert sie aber nicht. Ein Outing ist zwar wichtig, weil man erstmals ausspricht, was man ist und dadurch mit sich selbst ins Reine kommt, aber danach geht das Leben weiter: Selbst, wenn es das ganze Dorf weiss, muss man trotzdem seinen Platz in der Welt finden. KITZ erzählt eine bunte Welt, die unsere deutsche Lebensrealität widerspiegelt. 

Nikolaus: Um unsere diversen Figuren besser greifen zu können, hat uns Netflix einen Diversity-Beauftragten an die Seite gestellt. Wir haben mit den Darstellern zusammen intensiv über diese Themen geredet, um uns wahrhaftig ihren Geschichten anzunähern.

Einige Charaktere konsumieren exzessiv Drogen, um der Realität zu entfliehen und ihre Sorgen zu vergessen. Dabei wird nichts beschönigt. Warum war es euch wichtig, ihre Abstürze so realistisch zu zeigen?

Nikolaus: Unsere Botschaft lautet weder «Drogen sind böse», noch «Drogen sind geil – try it out». Drogen sind schlicht und ergreifend Teil unserer Welt, in allen Gesellschaftsschichten. Die Figur des Kosh ist dafür besonders anfällig, weil er wenig emotionale Nähe bekommt und zu viel Geld hat. Er sucht den Rausch, um sich besser zu fühlen, der Realität zu entfliehen und etwas zu kompensieren. Sein Drogenkonsum ist ein Symptom für etwas, das ihm fehlt.

Spätestens als Vanessa Chardonnay zum Frühstück bestellt, wird klar, dass sie ein Problem hat.

Nikolaus: Prosecco und Champagner zum Frühstück sind gesellschaftlich akzeptiert, aber Wein wirkt hart. Komisch, oder? Zu Beginn der Serie wedelt Kosh noch verspielt mit fancy Drinks, man hat Lust mitzutrinken. Je mehr man hinter die Fassaden der Figuren schaut, desto weniger Glanz bleibt übrig. Der Chardonnay zum Frühstück wirkt dann nur noch traurig. Die Brüche werden immer deutlicher. Dadurch gibt es auch einige schockierende Plottwists!

Vitus: In Deutschland wird immer auf die harten Drogen gezeigt, aufs Kiffen. Gleichzeitig ist es normal, dass jeder 16-Jährige Bier und Wein kaufen kann. Im Dorf ist es normal, mit 14 Jahren den ersten Vollrausch zu haben und dafür gefeiert zu werden. Dort wird es auf die leichte Schulter genommen.

Wie zuletzt schon bei der schwedischen Serie «Young Royals» hat sich Netflix auch bei «Kitz» dagegen entschieden, Hautunreinheiten nachträglich digital zu retuschieren. Ein Trend, der sich gerade immer mehr durchsetzt, um gegen toxische, unrealistische Schönheitsideale anzugehen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Vitus: Das haben wir zusammen mit Netflix entschieden. Wir wollten die Geschichte von Lisi und ihrer Welt so authentisch wie möglich erzählen und sie nicht künstlich in eine Version ihrer selbst verwandeln, die so nicht existiert. 

Nikolaus: Lisi sollte weder ein perfektes Image noch Äusseres haben, sie sollte natürlich wirken. Für einen spannenden Kontrast zu den beiden modelnden Influencerinnen mit der perfekten Babyhaut.

In «Kitz» spielt das Thema Cancel Culture und die gefährliche Macht von Social Media eine grosse Rolle.

Nikolaus: Wir sind nie angetreten, um eine Serie über Cancel Culture zu machen, sondern über den «schönen Schein» und was dahinter steckt. Daraus entstand die Figur der Vanessa.  Und was ist das Wichtigste, was man einer Influencerin nehmen kann? Das perfekte Image. Dann ist man schnell beim Thema Cancel Culture.
 

Von Mohan Mani am 19. Januar 2022 - 08:40 Uhr