Handeln die vorherigen «Omen»-Filme davon, wie der Antichrist den Weltuntergang herbeiführen will, steht er in «The First Omen» logischerweise nicht im Mittelpunkt – schliesslich ist er noch gar nicht geboren. Stattdessen spielt die Klosterschule des Ordens, dem die Novizin Margaret (Nell Tiger Free) als Nonne dienen will, eine Schlüsselrolle. Zum Beitrag
Somit lässt sich der Film als Nunsploitation einordnen, aus englisch «Nun» für Nonne und «Exploitation» als Bezeichnung für die provokanten Filme, die ab Mitte der 60er-Jahre den Anteil von Szenen mit Sex und Gewalt bewusst hochschraubten, um Tabus zu brechen. Selbstredend, dass das Thematisieren von Sex und Gewalt hinter Klostermauern nicht zuletzt in katholischen Ländern explosives Potenzial hat – was vor allem im Italien der 70er zu einer veritablen Nunsploitation-Welle führte.
Jedenfalls ist das Subgenre längst Kult und hat weltweit eine treue Fangemeinde, weshalb bis heute solche Filme produziert werden. Natürlich spielen nicht alle Nonnengräuel unbedingt in einem Konvent; die in unserem chronologisch geordneten Überblick hervorgehobenen indes schon.
Frankreich im 17. Jahrhundert: Kardinal Richelieu hetzt einem Konvent die Inquisition auf den Hals, um seine eigene Macht zu festigen. Mit seinem vierten Kinofilm sorgte der Provokateur Ken Russell nicht nur in England für einen Aufschrei. Neben seiner bissigen Blossstellung klerikaler Willkür und machtgierigen Kalküls sorgten die orgiastischen Szenen im Kloster für rote Köpfe. Dementsprechend kämpfte «Die Teufel» während Jahrzehnten mit den Zensurbehörden dieser Welt – wie die folgenden Filme auch.
OT: «The Devils»; GB 1971
Maya tritt als Novizin dem Konvent bei, in dem ihre Mutter unter mysteriösen Umständen umgekommen ist. Sadomasochistische Züchtigung steht auf der Tagesordnung, bald plant Maya ihre Rache. Selbst im nicht-katholischen Japan gibts Nunsploitation, und Kultregisseur Norifumi Suzuki haut ganz schön auf den Putz. Stilistisch bedient er sich bei einem weiteren populären italienischen Genre der 70er: dem Giallo. Fünf Jahre später schoss Suzuki mit dem nonnenfreien BDSM-Fetisch-Schocker «Exzesse im Folterkeller» (Dabide No Hoshi: Bishôjo-gari) buchstäblich den Vogel ab.
OT: «Seijû Gakuen»; J 1974
Süditalien: Im 15. Jahrhundert begehrt die Nonne Flavia (eine Wucht: Florinda Bolkan) gegen die patriarchalischen Strukturen der Kirche auf und sorgt dadurch für Aufruhr. Sie schliesst sich muslimischen Invasoren an und gerät vom Regen in die Traufe. Die reisserischen deutschen Titel können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gianfranco Mingozzi den ersten richtig feministischen Nunsploitation-Kracher inszenierte: eine bizarre, aufmüpfige Odyssee von schmerzhafter Radikalität und niederschmetternder Konsequenz, die nachhaltig aufwühlt und zu schockieren vermag.
OT: «Flavia, la Monaca Musulmana»; deutsche Alternativtitel: «Nonnen bis aufs Blut gequält», «Flavia, Leidensweg einer Nonne»; I/F 1974
Die 15-jährige Justine landet nach dem Tod der Eltern in einem katholischen Waisenhaus und soll zur Nonne erzogen werden. Da funkt ihre imaginäre Freundin Alucarda dazwischen. Kein Wunder, dass auch das katholisch geprägte Mexiko auf der Nunsploitation-Welle surfte. Juan López Moctezuma zieht in seinem knackigen Coming-of-Age-Fiebertraum alle Register, bis zum verblüffenden Finale. Wer Lust auf mehr mexikanische Nonnengräuel hat, dem sei «Satanico Pandemonium» (1975) von Gilberto Martínez Solares ebenso empfohlen, in dem Satan höchstpersönlich eine Nonne verführt.
OT: «Alucarda, la Hija de las Tinieblas»; MEX 1977
Die 16-jährige Maria (Susan Hemingway) landet in einem Kloster, das sich als satanistischer Konvent entpuppt. Dank dem Zürcher Exploitation-Zampano Erwin C. Dietrich (1930–2018) steht auch die Schweiz in den Nunsploitation-Annalen: 1975–78 produzierte er 14 Filme (!) des Spaniers Jess Franco, der mit «Die Nonnen von Clichy» (Les Démons, F/P 1973) schon seine Antwort auf «Die Teufel» inszeniert hatte. Auch wenn Franco den Fokus wie immer mehr auf Sex als auf Gewalt legt, ist ihm ein richtig rührendes Melodrama gelungen. Notiz am Rande: Da Hemingway (bürgerlich Maria Rosalia Coutinho) beim Dreh wirklich erst 16 war, darf der Film in England bis heute nicht unzensiert aufgeführt werden.
CH/D 1977
Ein Nonnenkloster wird von schrecklichen Ereignissen heimgesucht. Sind diese die Taten eines Psychopathen oder das Werk des Teufels? In Italien entstanden die mit Abstand meisten Nunsploitation-Reisser. Die Suche nach neuen Ideen führte zu kuriosen Mixturen wie dem schnarchnasigen «Die Nonne und das Biest» (Suor Emanuelle; 1977), der Nonnengräuel mit der «Black Emanuelle»-Reihe paart (natürlich mit Laura Gemser in der Titelrolle), oder dem durchgeknallten «Geständnis einer Nonne» (Suor Omicidi; 1979) über die psychisch labile Schwester Gertrude (Anita Ekberg!), die in einer Brüsseler Psychiatrie in bester Giallo-Manier austickt (oder doch nicht?). Verständlich, dass Italien dem Subgenre treu blieb, als die Welle längst abgeebbt war, wie Schmierfilmer Bruno Mattei mit «The Other Hell», der Nunsploitation mit anderem Mummenschanz zur vergnüglichen Trash-Horrorshow verwurstete. Die restlichen 80er konzentrierten sich wie «Kloster der 1000 Todsünden» (La Monaca nel Peccato, 1986) von Sleaze-Papst Aristide Massaccesi auf den Sex-Aspekt, ehe «Demonia» (1990) rachsüchtige Geister mittelalterlicher Satans-Nonnen billig und blutig auf Archäologen losliess. Regie führte Splatter-Maestro Lucio Fulci, dessen phänomenales Historiendrama «Die Nackte und der Kardinal» (Beatrice Cenci, 1969) mit seiner ätzenden Kritik am krankhaften Machtstreben der katholischen Kirche kaum zu toppen ist.
OT: «L’Altro Inferno»; I 1981
Nach Vaters Tod erfährt die Engländerin Elizabeth, dass sie auf einer Klosterinsel vor der russischen Küste geboren wurde. Sie reist zu ihren Wurzeln – mit fatalen Folgen. Nach 15 Jahren Scheintod erweckte (wenig überraschend) ein Italiener den Nonnengräuel zu neuem Leben: Mariano Baino, der bis heute keinen weiteren abendfüllenden Film mehr gedreht hat. Äusserst bedauerlich, denn der russisch-britisch (!) koproduzierte Albtraum verbindet das Subgenre mit H.P. Lovecraft und präsentiert womöglich den unheimlichsten Konvent und die beängstigendsten Nonnen überhaupt. Kurzum: ein Geniestreich für die Ewigkeit.
RUS/GB 1993
Teenager brechen zwecks Party in ein leerstehendes Haus ein. Dieses beherbergte einst einen Konvent, dessen Nonnen vor 40 Jahren massakriert wurden. Prompt erwecken die Kids deren dämonische Geister zum Leben. Die überkandidelte Splatterkomödie von Mike Mendez bietet so bescheuerten wie blutigen Spass auf den Spuren von «Night of the Demons» I + II (1988 + 94), einfach im Ordenshabit. Mit «Sacred Flesh» (GB 2000) entstand fast parallel des Weiteren ein Wiederbelebungsversuch der erotischen Nunsploitation.
OT: «The Convent»; USA 2000
Die amerikanische Novizin Sarah tritt einem italienischen Kloster bei, um zu Gott zu finden. Doch der Weg dorthin erweist sich als pure Qual. Der italienische Cutter Ivan Zuccon dreht von Zeit zu Zeit mit überschaubaren Finanzen beeindruckende Horrorfilme. In «Nympha» mischt er klassischen Nonnengräuel mit Folterhorror im Stil von «Saw». Das Resultat ist wie bei Zuccon üblich ein eigenwilliger Low-Budget-Schocker, der sich nicht scheut, neben gröberen Brutalitäten eine auf mehreren Ebenen ansprechende Geschichte zu erzählen.
I 2007
Schwester Kelly Wrath wird in einer Gasse erschossen, im Himmel von Moses, Gandhi und Jesus ausgebildet und dann wieder auf die Erde geschickt, um mit der übersinnlichen Nonnentruppe «Order of the Black Habit» das organisierte Verbrechen zu bodigen. Klingt gaga? Ist die so subversive wie abgedrehte Selbstjustiz-Groteske von Richard Griffin auch. Wem solch köstlich perfides Rache-Gedöns gefällt, kann den deutlich simpler gestrickten «Nude Nuns with Big Guns» (USA 2010) von Joseph Guzman nachschieben. Griffin blies 2015 mit «Flesh for the Inferno» zudem zum Angriff der zornigen Zombie-Nonnen.
USA 2009
Im 17. Jahrhundert entgeht die der Hexerei beschuldigte Persephone dem Scheiterhaufen, da eine mysteriöse Mutter Oberin sie unter die Fittiche nimmt. In deren Konvent herrscht jedoch das Grauen. Paul Hyett huldigt inhaltlich der klassischen Nunsploitation, stilistisch Lucio Fulcis Splatter-Perlen aus den frühen 80ern. Das angenehm nostalgische Resultat erquickt das Herz des gestandenen Genrefans. Obacht: In den USA erschien der Film als «The Convent», also nicht verwechseln! Ergänzt sich zudem prima mit dem amerikanischen Quasi-Pendant «St. Agatha» aus demselben Jahr, in dem eine junge Schwangere im Georgia der 1950er Zuflucht in einem Konvent sucht und den puren Horror findet. Ebenfalls 2018 triumphierte dank «The Nun» auch Hollywood mit Nonnengräuel.
GB 2018
Die Nonne Benedetta (Virginie Efira) hat lebhafte Visionen von Jesus und geht eine Liaison mit Novizin Bartolomea ein, was dem Kloster nicht verborgen bleibt. Mit dem Porträt von Benedetta Carlini (1590–1661) führt der provokative niederländische Regie-Virtuose Paul Verhoeven Nunsploitation zu den Wurzeln zurück: dem Arthouse-Kino und dem historischen Drama, das ein auf Tatsachen basierendes Schicksal präsentiert, wie z.B. «Die Nonne von Monza» (La Monaca di Monza; I 1969) von Luchinos Neffe Eriprando Visconti mit Anne Heywood, die 1973 in «Die Nonne von Verona» (Le Monache di Sant’Arcangelo) neben Ornella Muti zur Mutter Oberin aufstieg. Verhoeven macht aus der Story ein Manifest für körperliche und geistige Selbstbestimmung und gegen patriarchalische Unterdrückung. Und auch wenn das auf den ersten Blick nicht unbedingt auffällt: In richtig guter Nunsploitation schwang dieser Gedanke schon immer mit.
F/B/NL 2021
… Wer nach «The First Omen» und/oder der Sichtung von hier erwähnten Filmen Lust auf mehr hat, kann sich jetzt schon auf «Immaculate» (I/USA 2024) freuen, der am 11. Juli in die Deutschschweizer Kinos kommt.