Beim Auftakt der deutsch-finnischen Serie ist die Katastrophe schon passiert: Ein Personenzug ist bei der Durchfahrt durch einen Rangierbahnhof entgleist und in einen abgestellten Güterzug geknallt. Die folgende Explosion erschüttert das nahe gelegene Dorf und zerstört das Bahnhofsgebäude inklusiv Kneipe. Über 60 Menschen sterben. Mehr als 200 werden zum Teil schwer verletzt.
Das ist der vermeintliche Wissensstand zu Beginn der ersten Folge. Denn jetzt tritt Marita Kaila (Leena Pöysti) auf den Plan. Sie leitet das Unfallermittlungsteam, zu dem auch der etwas verschrobene Daniel (Mikko Kauppila) gehört. Unter erheblichem öffentlichem Druck müssen die Ermittler klären, wie’s zum Unglück kommen konnte. Menschliches oder technischem Versagen? Oder hat jemand den Tod dieser Menschen in Kauf genommen bzw. sogar bewusst herbeigeführt?
Dann ist da noch die Sache mit der Explosion: Sie ergibt keinen Sinn. Die Kesselwagen des Güterzugs waren leer, und auch sonst befand sich in der Umgebung nichts, was hätte hochgehen können. Nach einem behördlichen Fauxpas am Tatort müssen sich die Ermittler ganz auf die Augenzeugen verlassen. Aber wessen Aussage kann man trauen?
Es dauert nicht lange, bis aus der Bevölkerung willkürliche Schuldzuweisungen laut werden. Zuerst kommt der Lokführer dran: Er habe sicher ein Haltesignal übersehen. Dann gerät die IT-Firma, die das elektronische Überwachungssystem für die Bahn entwickelt hat, in Bedrängnis. Sogar die Wirtin der Bahnhofskneipe wird bezichtigt: Sie hat zum Unfallzeitpunkt einer Gruppe 16-Jähriger unerlaubterweise Alkohol ausgeschenkt und so deren Tod quasi herbeigeführt.
Im Verlauf der Geschichte gerät das Inferno zusehends in den Hintergrund: Im Mittelpunkt stehen nun die Intrigen, Streitereien und Machtspiele zwischen Vertretern von behördlichen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen. Bezeichnend dafür ist zum Beispiel die Sorge der Verkehrsministerin, die einem Video gilt, das auf Social Media kursiert: Darin sieht man, wie sie während eines Sirenenalarms panisch in ein Gebäude rennt, ohne sich um ihre Mitmenschen zu kümmern. Auch Ermittlerin Marita kann sich nicht allein auf ihre Kernaufgabe fokussieren: Der Erfolgsdruck spült ein traumatisches Erlebnis aus ihrer Kindheit hoch.
Ein interessantes filmisches Stilmittel, das wiederholt zur Anwendung kommt, verdient besondere Erwähnung: Wenn die Augenzeugen aussagen, nehmen sie die Ermittlerin jeweils mit und durchleben gemeinsam mit ihr nochmals die vergangenen Ereignisse. Marita steigt mit der Wirtin der Bahnhofsbeiz in den Keller, um Getränkenachschub zu holen, während oben die Tragödie tobt; sie steht mit der älteren Frau am Fenster und hört die Explosion. Und sie fährt mit dem schwer verletzten Lokführer mit, schaut ihm dabei auf die Finger und fragt ihn aus. So beobachten wir mit Marita, wie sich der Unfallhergang Stück für Stück zusammensetzt. Wie ein Puzzle Doch einige der geschilderten Szenen sind erstunken und erlogen. Nur: welche?
NDR | Dramaserie | 1. Staffel
Mit Leena Pöysti, Mikko Kauppila
Samstag, 21. September 2024, 23.00 Uhr, 1–3/6
Samstag, 28. September 2024, 23.30 Uhr, 4–6/6