Stellen Sie sich folgende Szene vor: Ein verstörter Mann kommt auf die Polizeiwache, um Anzeige zu erstatten. Er sei von einer Frau mit einem sogenannten Strap-on-Sexspielzeug vergewaltigt worden. Die diensthabende Polizistin fragt süffisant grinsend: «Was hatten Sie denn an jenem Abend an?» Sie wolle ihn ja nicht vorverurteilen, aber «wenn man zu viel Haut zeigt, kann das schnell wie eine Einladung wirken».
Wie deplatziert und menschenverachtend diese Frage an ein potenzielles Vergewaltigungsopfer ist, merken einige offenbar erst, wenn sie einem Mann gestellt wird.
Um diese verkehrte Welt, eine Art auf den Kopf gestellte #MeToo-Geschichte, geht es in der ARD-Serie «Sexuell verfügbar». Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Caroline Rosales erzählen die fünf Folgen das turbulente Leben von Miki (Laura Tonke). Nach der Trennung von ihrem Mann zieht sie mit ihren beiden Kindern in eine Wohnung, in der es chaotisch zu- und hergeht. Bei ihnen lebt auch Heini (sehr lustig: Merlin Sandmeyer): Er und Miki führen eine offene Beziehung.
Ihr Job als Regisseurin von Werbespots und Schmuddelfilmchen macht Miki nur mässig Spass. Dafür tobt sie sich in allen anderen Lebenslagen aus. Sie hat es satt, immer gefallen zu müssen, brav zu sein, ins Schema zu passen. Also feiert sie ihre Sexualität, tauscht Dates wie Slips und experimentiert mit Rollenbildern. Nach so einem Experiment wird sie angeklagt, den scheinbar braven Geschäftsmann und Familienvater August von Modersohn (Hanno Koffler) vergewaltigt zu haben.
«Knallbuntes Gefühlschaos und gepfefferte Gesellschaftskritik.»
In Mikis Version der Story hatte der Mann jedoch darum gebeten, um nicht zu sagen: darum gebettelt. Aus der Bredouille befreien soll sie nun ihre Jugendliebe Ben (Florian Stetter), der heute Anwalt ist: Er lässt alles stehen und liegen, um Miki zu Hilfe zu eilen.
Eine #MeToo-Geschichte mal andersrum zu erzählen, ist reizvoll. Oft platzt einem beim Zuschauen beinahe der Kragen ob der himmelschreienden Ungerechtigkeiten. Man versteht, warum Miki ausbrechen will. Hatte ihre Mutter doch schon in jungen Jahren vorgelebt, dass die Aufgaben einer Frau darin bestünden, Kinder auf die Welt zu bringen und schlank zu sein. Als Miki sagt, sie habe halt einfach mehr Hunger als andere und wolle mehr zu sich nehmen als bloss Tictac-Bonbons und Weisswein, kann man nur heftig nicken.
Dennoch fällt es schwer, sich mit Miki zu solidarisieren. Sie lebt nicht nur ein wildes, unangepasstes Leben, sie stösst auch ihr gesamtes Umfeld mit ihrer Ruppigkeit immer wieder vor den Kopf. Kratzbürstig ist sie auch zu Ben, und als die versammelte Presse vor der Haustür die «Vergewaltigerin» abfangen will, grinst sie frech in die Kameras und hält provokativ zwei Finger als Victory-Zeichen hoch.
Noch konfuser sind jene Szenen, in denen Miki plötzlich prominente Persönlichkeiten erscheinen, die ihr ins Gewissen reden. So sitzt eines Abends Travestiekünstlerin Lilo Wanders in Mikis Badewanne, oder die feministische Rapperin Lady Bitch Ray schaut
in Bens Anwaltsbüro vorbei.
«Sexuell verfügbar» – das sind zweieinhalb Stunden knallbuntes Gefühlschaos und gepfefferte Gesellschaftskritik. Ein Experiment, auf das man sich bewusst einlassen muss. Ob Miki am Ende schuldig gesprochen wird oder nicht, wird natürlich nicht verraten.
Miniserie
Mit Laura Tonke, Florian Stetter, Merlin Sandmeyer
Alle 5 Folgen am Stück; Samstag, 16. März, 23.55 Uhr, ARD