Für Serienfans gehört sie längst zum Pflichtprogramm: «Peaky Blinders – Gangs of Birmingham» fesselt die Fangemeinde schon seit zehn Jahren. Seit nun aber Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer im gleichnamigen Kinofilm brilliert, wurden wieder mehr Leute auf die Dramaserie der BBC (zu sehen auf Netflix) aufmerksam.
Denn Murphy verkörpert da Thomas Shelby, den charismatischen Anführer der Schlägerbande «Peaky Blinders». Die Familie Shelby dominiert und terrorisiert um 1920 die Strassen von Birmingham. Die Shelbys erpressen Schutzgeld, manipulieren Pferderennen, sind auch dick drin im Schmugglergeschäft. Und ja, sie prügeln sich – oft, heftig, blutig.
Ausgedacht hat sich die Story der Peaky Blinders um Familie Shelby der britische Drehbuchautor Steven Knight (64). Inspirieren liess er sich von seinem Vater, der ihm haarsträubende Geschichten über die Peaky Blinders auftischte, die er hautnah miterlebt hatte.
«Mein Vater war acht Jahre alt, als er mit einer Nachricht zu den Peaky Blinders geschickt wurde», erinnert sich Knight. «Er sah acht Männer, perfekt angezogen, um einen Tisch voller Münzen sitzen.» Sie tranken Bier und Whisky, allerdings aus Marmeladengläsern. Richtige Gläser wollten sie nicht kaufen – jeder Penny ging in ihr Äusseres. «In einem so düsteren Umfeld war man gezwungen, selbst was aus sich zu machen.» Die gut gekleideten Männer am Tisch waren die Onkel von Knights Vater.
Diese und andere Anekdoten gibt Knight im Doku-Zweiteiler «The Real Peaky Blinders» zum Besten. Gemeinsam mit namhaften Historikern und Biographen zeichnet er dort die Spuren der echten Peaky Blinders nach.
Bereits in den 1870er-Jahren waren die Schlägertypen aktiv. Es waren vornehmlich Jugendliche, die mit blossen Fäusten ihre Strasse bis aufs Blut verteidigten. Damals ging es noch nicht um Geld, sondern ums Kämpfen. Neben der knüppelharten Arbeit in den Fabriken waren Schlägereien eine günstige Möglichkeit, sich zu amüsieren.
Da zu jener Zeit die Zeitungen immer billiger wurden und auch für Angehörige der Arbeiterklasse erschwinglich waren, wurden die Peaky Blinders und andere Strassengangs zu Berühmtheiten. Denn über ihre Taten und Verbrechen wurde in jeder Ausgabe berichtet. Historiker bezeichnen die Peakys darum auch gerne als ersten Jugendkult der Geschichte: Die Gangmitglieder wurden damals ähnlich gehypt wie heute Stars und Sternchen aus Realityshows.
Ein berüchtigter Bandenanführer hiess Samuel Sheldon. «Er war nur 1,60 m gross, aber wirklich gefährlich und überall dabei, bei Aufständen, Schlägereien und dem übelsten Bandenkrieg der Stadt», so Knight. Sheldon war denn auch Knights Vorlage für die fiktive Hauptfigur Thomas «Tommy» Shelby in der TV-Serie. Die setzt jedoch erst 1919 ein. Thomas Shelby (Cillian Murphy) ist kein junger Schläger mehr, sondern ein vom Ersten Weltkrieg schwer traumatisierter Soldat.
Viele andere Figuren aus Steven Knights Serie hat es wirklich gegeben: Allen voran Billy Kimber (gespielt von Charlie Creed-Miles) aus Birmingham. Er war ein Kleinkrimineller, ein Taschendieb, und führte später die sogenannten Rennbahnkriege an. Auch der jüdische Buchmacher Alfie Solomons (Tom Hardy) existierte wirklich.
Die zweiteilige Doku «The Real Peaky Blinders» ist nicht nur für Fans der Serie lohnend. Klar, ein Exkurs ins viktorianische Zeitalter ist immer reizvoll. Doch noch selten wurde die Arbeiterklasse dermassen ausführlich beleuchtet.
Besonders packend schildert Historiker Carl Chinn die Geschehnisse von damals. Chinn hat Tage und Wochen in Archiven gewühlt und gilt als Spezialist, wenn es um die Geschichte Birminghams geht.
Eine Frage, die sich sicher die meisten «Peaky Blinders»-Fans stellen: Waren die Schiebermützen, die die Shelbys trugen, wirklich mit Rasierklingen bestückt, damit sie ihren Feinden damit das Gesicht zerfetzen konnten? Nein, das ist ein Mythos. Sicherheitsrasierklingen waren da noch gar nicht erfunden.
Apropos: Der «Peaky Blinders»-Hype ist wohl nicht ganz unschuldig daran, dass sich heute so viele junge Männer die Schläfen rasieren und das Deckhaar lang tragen. Doch keiner trägt den Undercut so lässig wie Tommy Shelby.
Dokumentation | 2 Folgen | GB 2022
Mit Stephen Knight, Carl Chinn
Samstag, 2. September, 20.15 Uhr, ZDF Info, beide Folgen am Stück