«Ds Ego hani gäng diheim gla», ist einer der ersten Sätze von Stefan Zürcher (78) im Gespräch mit tele.ch. Erstaunlich, denn dieser Mann hat sich fast 60 Jahre lang in einem der grössten Haifischbecken der Welt behauptet: Hollywood! Dorthin zog es den Berner Oberländer aus Wengen Mitte der 60er-Jahre, als er beharrlich, aber ohne Enthusiasmus die Lehre als Elektromechaniker abgeschlossen hatte. Er wusste: Ich will zum Film!
Da lag es auf der Hand, den Sprung nach Amerika zu wagen. Mit gerade mal 23 kam seine grosse Chance. Notabene nicht in Übersee, sondern ausgerechnet in Mürren, Wengens Nachbarort! «Irgendwas mit Bond und verrückten Skifahrern», hatte sein Vater am Telefon gesagt. Zürcher flog so rasch wie möglich in die Schweiz zurück und fiel beim Dreh von «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» (inkl. der berühmten Schilthorn-Szene!) mit Stunts und seinem Gespür für Schnee und Eis auf. Es sollte der Anfang sein einer langjährigen Zusammenarbeit mit der «Bond-Familie».
Sooft in einem der folgenden 007-Filme irgendwas in den Bergen geplant war, wollte Produzentin Barbara Broccoli ihn als Experten dabei: «Call Stefan, the Snowman!» Schnell machte sein Name auch sonst die Runde in Hollywood, und bald drehte der Schweizer Schneemann alle möglichen Filme: etwa «Das vergessene Tal» mit Omar Sharif und Michael Caine (1971), das oscargekrönte Musical «Cabaret» (1972) mit Liza Minelli, Maximilian Schells «Der Richter und sein Henker» (1975) und eben immer wieder Bond.
Eine Festanstellung hatte er nie. «Aber das Urvertrauen, dass es immer irgendwie weitergeht», sagt er mit einem spitzbübischen Lächeln. «Ich war gewissermassen ein freischaffender Gaukler.» Während andere ins Büro gingen, sprang er mit Skis auf den fahrenden Oldtimer von Gert Fröbe («Monte Carlo Rallye», 1969) oder raste im gleichen Jahr als Double von Robert Redford in «Schussfahrt» den Berg runter.
Beim Dreh zu «Der Spion, der mich liebte» 1977 mit Roger Moore musste er gar eine Nacht unter freiem Himmel verbringen: bei minus 20 Grad auf einem Gletscher 3500 m ü. M.
Man könnte Stefan Zürcher stundenlang zuhören. Auch dann, wenn er erzählt, dass er zwar noch mit 45 Vater wurde, aber Beziehungen und Freundschaften, also was man gemeinhin ein «normales Leben» nennt, kaum möglich war.
Mit Pierce Brosnan philosophierte er in Drehpausen über das Leben, mit Robert Redford ging er privat Ski fahren. Aber die Wege trennten sich wieder. «Zudem hatten wir 14-Stunden-Arbeitstage.» Wobei das niemand störte. «Hey, wir konnten einen Film drehen, da dachte doch keiner an Fyraabig!»
«Ich habe die besten Jahre erlebt und durfte in der Champions-League des Filmemachens mitspielen.»
Stefan Zürcher
Irgendwann kam der Moment, an dem er den Adrenalinkick nicht mehr brauchte. Als er nach einem Dreh für eine TV-Show mit Dieter Hallervorden mit schweren Prellungen im Spital lag, hatte er «ein bisschen mehr Zeit zum Nachdenken», wie er es formuliert. Zürcher entschied sich, die Stunts sein zu lassen und sein Talent in Zukunft als Produktionsleiter und Koordinator einzusetzen.
Ironie des Schicksals: Die gefährlichste Situation erlebte er erst danach: beim Dreh von «Der Hauch des Todes» mit Timothy Dalton 1987. Für eine Szene auf einem gefrorenen See wollte er mit einem Pistenfahrzeug die Eisfläche räumen. Es knackste – und innert Sekunden sank das Fahrzeug ab. Zürcher war gefangen. Nur dank dem beherzten Eingreifen des Eismeisters, der ins Wasser sprang und von aussen die Tür einen Spalt öffnete, kam er raus. «Da hörte ich leise die Engel singen», gibt er zu.
Klar erfüllt es ihn, den Bub aus den Bergen, mit Stolz, für immer und ewig Teil dieser Filmklassiker zu sein. Das Scheinwerferlicht aber überliess er gerne anderen. Dass man ihn – nach über 45 Blockbustern – auf der Strasse nicht erkennt, quittiert Zürcher mit einem herzhaften «Gott sei Dank!» Er sei nur ein Zahnrädchen gewesen, sagt er bescheiden. Etwas zu bescheiden, wenn man bedenkt, dass er 2015 in «Spectre» mit Daniel Craig rund 600 Leute führte und eine weitere unvergessliche Verfolgungsjagd im Schnee realisierte. Da war er schon 70.
«Spectre» sollte sein letzter grosser Film sein, danach zog sich Stefan Zürcher zurück. Altersbedingt, aber auch, weil das einstige Filmhandwerk mehr und mehr ausgedient hat und heute oft durch Computertechnik ersetzt wird. «Diese Entwicklungen passen nicht zu mir», sagt er. Ohne jegliche Wehmut. «Wieso auch? Ich habe die besten Jahre erlebt und durfte in der Champions-League des Filmemachens mitspielen.»
«Funktioniert meine Festplatte noch?», fragte sich Stefan Zürcher nach einem Hirnschlag 2021, «kann ich mich an all die Anekdoten erinnern?» Er konnte – und erzählte sie Autor Roland Schäfli. Entstanden ist ein unterhaltsames Buch über 58 packende Jahre im Filmbusiness. Das Vorwort schrieb Bond-Produzentin Barbara Broccoli.