Blutspur oder Weinklecks ?

Normalerweise, da vernebelt einem zu viel Rotwein alle Sinne. Der Blick wird trüb, die Zunge schwer, das Hirn träge. Genau umgekehrt verhält es sich bei Harry Wild (Jane Seymour): Die pensionierte Literaturprofessorin scheint mit jedem Glas scharfsinniger und cleverer zu werden.

Statt ihre immer noch faltenfreie Nase in dicke Wälzer zu stecken, schnüffelt sie lieber in Verbrechensfällen herum, die eigentlich von ihrem Sohn Charlie (Kevin J. Ryan) gelöst werden sollten, einem Kriminalpolizisten. Unterstützung bekommt Harry Wild dabei vom jungen Fergus Reid (Rohan Nedd) – und vom eben erwähnten roten Rebensaft.

Eine Kostprobe von Harry Wilds unstillbarem Durst und ihren cleveren Ermittlungsmethoden bekam das Publikum bereits im April 2022. Die acht Folgen von Staffel 1 der irischen Krimiserie «Harry Wild – Mörderjagd in Dublin» fanden im ZDF grossen Anklang. Das liegt nicht zuletzt an der 72-jährigen Hauptdarstellerin Jane Seymour. Schliesslich kennt man die britisch- amerikanische Schauspielerin schon lange. Vor allem als Solitaire in «James Bond 007: Leben und sterben lassen» (1973) und später durch ihre Hauptrolle in der TV-Serie «Dr. Quinn – Ärztin aus Leidenschaft» (1993–1998).

Nun warten in Staffel zwei also sechs neue Fälle auf Harry Wild – jeweils sonntags in Doppelfolgen. In der ersten Episode «Familienangelegenheiten» wird ausgerechnet Ray erschossen, mit dem Harrys einst eine Beziehung hatte. Alle Indizien deuten auf Rays Ex-Frau Vivian (Ciara O’Callaghan) hin, die bewusstlos mit der Waffe in der Hand neben der Leiche liegt. Doch Harry ahnt schon, dass diese Lösung viel zu einfach wäre.

Mit Hilfe von Fergus Reid deckt sie jahrelange Ungereimtheiten in der Polizeiwache auf. Und so unorthodox ihre Ermittlungsergebnisse auch sein mögen: Sie haben schwerwiegende Konsequenzen für die hiesige Polizei.

Und genauso wie das Glas Wein in Harrys Hand zieht sich ein weiterer roter Faden durch die Serie: Harrys Belesenheit. Nicht selten löst sie knifflige Fälle dank ihren enormen Literaturkenntnissen. Wer nun denkt, sie zitiere einfach nur Shakespeare, Wilde oder Orwell, wird eines Besseren belehrt: Die weinselige Sünderin kennt auch die Bibel auswendig.

Das zeigt sich exemplarisch in ihrem zweiten neuen Fall «Ein teuflischer Plan», wo die Bewohnerinnen und Bewohner eines kleinen Dorfes auf die Anwesenheit des Teufels schwören. Als eine junge Dörflerin stirbt, muss das wohl der Leibhaftige oder einer seiner Spiessgesellen gewesen sein. Nun ja, Harry Wild löst auch diesen Fall.  

Noch abstruser gestalten sich die Ermittlungen in Harrys drittem Fall: Bei einer Junggesellinnenparty in einem Schönheitssalon wird die Trauzeugin vergiftet. Und wenn jemand im hysterischen Gewusel der zickigen Brautjungfern mit kühlem Kopf ermitteln kann, dann sicher Harry Wild.

War es in der ersten Staffel noch Harrys aufregendes und ziemlich wechselhaftes Liebesleben, so steht in den neuen Folgen vermehrt Fergus im Zentrum: Seine Mutter Paula (Samantha Mumba) taucht nach fünf Jahren Abwesenheit aus dem Nichts wieder auf. Warum sie die Familie damals verliess und weshalb sie nun plötzlich wieder auf der Matte steht, zeigt sich im Verlauf der einzelnen Folgen. Klar ist: Fergus ist gar nicht angetan von Paulas Erscheinen und nicht bereit, ihr zu verzeihen, dass sie ihn, seine jüngere Schwester Liberty und Vater Malky im Stich gelassen hat.

Die neuen Folgen bieten den altbekannten Mix aus süffig-witzigen Dialogen und klassischer Krimi-Whodunit-Spannung. Wer die erste Staffel verpasst hat, kann sie in der ZDF-Mediathek (zdf.de) nachschauen. Dort ist auch die neue  Staffel schon seit Sonntag, 29. Oktober, abrufbar.

Worüber man in jeder Folge von neuem rätseln darf, ist der Vorspann: Sieht man dort Blutspuren eines Mordes, oder sind es vielleicht doch eher Rotweinflecken auf Harry Wilds Tischtuch?