Als im Jahr 2000 das «Big Brother»-Haus erstmals seine Pforten öffnete und RTL 2 die Kandidaten hereinbat, war die Faszination gross. Aber auch die Entrüstung: Dass die Hausbewohner rund um die Uhr von Kameras und Mikrofonen überwacht wurden, sahen einige als gesellschaftlichen Tabubruch. Heute kräht kein Hahn mehr danach. Ob im Zug, im Laden oder an öffentlichen Plätzen – wir haben uns längst daran gewöhnt, überall Kameras zu begegnen. Schliesslich tragen alle eine in der Hosentasche, fotografieren und filmen damit auf Teufel komm raus.
Apropos Teufel: Was, wenn die eingefangenen Bewegtbilder nicht nur bei Bedarf gesichtet werden, sondern wenn man eine künstliche Intelligenz einsetzt, um die Videos zu instrumentalisieren? Dann finden wir eine «Tödliche Utopie» vor, so der Untertitel der Sci-Fi-Serie «Concordia» (ZDF).
In der fiktiven schwedischen Stadt Concordia (lat. für «Eintracht») entstand ein Gesellschaftsmodell, das Gerechtigkeit und Wohlergehen jedes Einzelnen zum Ziel hat. Jeder ist willkommen, hat gleiche Bildungschancen, profitiert von ganzheitlicher Gesundheitsversorgung. So das Versprechen der Gründerin Juliane Ericksen (Christiane Paul). Möglich macht dies eine lückenlose Überwachung: Ericksen lässt sämtliche Daten der Bewohnerinnen und Bewohner sammeln. Deren ganzes Leben wird von einer KI kontrolliert – per Kamera, Tonaufzeichnung und Körperdaten-Erfassung.
Mit einem Verbrechen würde hier niemand ungestraft davonkommen. Deshalb gibt es keine mehr. Seit 20 Jahren. So lange existiert das Konzept Concordia schon und soll nun nach Deutschland exportiert und von der Stadt Kopwitz unter Landesherrin Hanna Bremer (Karoline Eichhorn) übernommen werden.
Ausgerechnet jetzt passiert das Unfassbare, das Unmögliche: An der Stadtgrenze Concordias, genau dort, wo die Überwachung aufhört, wird ein junger Analyst der Überwachungs-KI ermordet. Um den Fall zu untersuchen, wird die englische Krisenmanagerin Thea Ryan (Ruth Bradley) nach Schweden entsandt. Ericksen soll sie unterstützen. Dabei geht es längst nicht mehr darum, den Mord aufzuklären. Das Konzept «Concordia» soll unter allen Umständen geschützt werden. Ein Konzept, das nicht nur Befürworter kennt: Ein radikaler Datenschützer-Clan will die Modellstadt zerstören.
Welchen Preis wären wir bereit, für eine solche Utopie zu bezahlen?
«Concordia» entwickelt sich rasch zu einem Thriller, wo immer wieder die Frage auftaucht: Wer kann wem noch vertrauen? Da die Darstellerriege international zusammengesetzt ist, wurde die Serie auf Englisch gedreht. Deutschsprachige Schauspieler und Schauspielerinnen wie Christiane Paul als Ericksen mussten sich also nach Drehschluss selber synchronisieren. Das ist bedauerlich, denn dadurch verlieren die Figuren an Nähe und Authentizität.
Die KI-Technologie, die in der Serie angewandt wird, existiert bereits heute, weshalb «Concordia» in der Gegenwart angesiedelt ist. Jedenfalls werfen die Macher bewusst ethische und rechtliche Fragen auf und laden das Publikum ein, diese für sich zu beantworten: Ist eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft dank totaler Überwachung überhaupt möglich? Oder ist das ein Widerspruch in sich selbst? Und: Welchen Preis wären wir bereit, für eine solche Utopie zu bezahlen?
ZDF | Sci-Fi-Serie | 1. Staffel
Mit Christiane Paul, Karoline Eichhorn, Ruth Bradley
Sonntag, 20. Oktober 2024, 22.15 Uhr (Folgen 1–3/6)
Montag, 21. Oktober 2024, 22.15 Uhr, (Folgen 4–6/6)