Wie kam es dazu, dass die Showrunner von «Dark» Sie auch für ihr neues Projekt engagierten?
Andreas Pietschmann: Die genauen Hintergründe kenne ich nicht. Aber das Angebot, mich für ihr nächstes Abenteuer erneut zu besetzen, hat mich unglaublich gefreut. Ihnen verdanke ich einige der grössten Schritte in meiner Karriere als Schauspieler. Ich schätze die Zusammenarbeit mit den beiden kreativen Machern sehr. Ich habe keine Sekunde gezögert, dieses Angebot anzunehmen.
Punkto Spannung und Rätselraten lässt «1899» wieder nichts aus – mit Cliffhangern, die einen mit offener Kinnlade zurücklassen.
Ja, das ging mir schon beim Lesen der Drehbücher so. Ich wollte sie gar nicht mehr zur Seite legen und gierte stets nach der nächsten Information. Jantje Friese und Baran bo Odar schaffen es aufs Neue, uns mit ihren Geschichten zu fesseln, die einen nicht mehr loslassen.
Und der Plot fordert die volle Aufmerksamkeit diesseits des Bildschirms, damit man nichts verpasst.
Richtig. Wie schon «Dark» nimmt auch diese Serie ihr Publikum sehr ernst, indem sie es nicht einfach mit Unterhaltung berieselt, sondern es herausfordert und auf diese rätselreiche Reise mitnimmt. Stellen Sie sich ein Puzzle vor, dessen Teile verkehrt rum auf dem Tisch liegen. Ab und zu darf man eines umdrehen, merkt aber dann, dass es nirgendwo hinpasst und man auf ein anderes warten muss, um zu verstehen, wo es hingehört. So allmählich setzt sich das Bild dann zusammen.
Auch die Mehrsprachigkeit ist herausfordernd, was selbst die sprachgewandtesten Zuschauer an ihr Limit bringt.
Es stimmt, dass neben Deutsch, Spanisch, Französisch und Englisch auch Dänisch, Polnisch, Portugiesisch und sogar Kantonesisch gesprochen wird. Aber ich glaube, diese Vielzüngigkeit trägt einen erheblichen Teil zum Reiz der Serie bei. Und sie spiegelt auch die Zeit wider, in der wir leben, und unseren Kontinent.
Sie meinen sinnbildlich?
Ja, auch. Wir haben es hier mit einem Tableau vieler Nationalitäten zu tun, die sich gemeinsam im Mikrokosmos dieses Schiffs bewegen. Wie das heutige Europa ist das Schiff ein Potpourri aus vielen Kulturen und sozialen Hintergründen, die sprichwörtlich und buchstäblich zusammen im gleichen Boot sitzen. Die Serie zeigt, dass wir uns voneinander inspirieren lassen können, ohne die Unterschiede ausblenden zu müssen. Deswegen spricht jeder seine eigene Sprache.
Und wie war das am Set?
Auch am Set waren wir immer auf der Suche nach einem gemeinsamen Weg und nach Verständigung. Ich glaube, die ZuschauerInnen kommen mit dieser Mehrsprachigkeit klar. Natürlich gibt es Untertitel. Im Notfall kann man auf die synchronisierte Fassung zurückgreifen.
Wegen der Pandemie konntet ihr nicht traditionell drehen, sondern musstet auf ein virtuelles Set ausweichen. Wie haben Sie das als Schauspieler erlebt?
Das war eine erhebliche Umstellung. Aber ich fand’s grossartig. Bei dieser Volume-Technologie werden in einem Studio riesige ultrahochauflösende LED-Bildschirme kreisförmig angeordnet. An der Decke hängen auch noch welche. Als Schauspieler stehst du dann in diesem Dreiviertelkreis und auf den LED-Panels wird der Hintergrund für die entsprechende Szene dargestellt. Da steht also nicht einfach eine einfarbige Wand, wie man das von der Greenscreen-Technik kennt, sondern man sieht die Reling, das Deck und den Atlantik wirklich. Für mich als Schauspieler war das eine faszinierende Erfahrung und eine grosse Hilfe.
Der technische Aufwand scheint aber riesig gewesen zu sein.
Ja, es waren immer mehrere Spezialisten damit beschäftigt, die animierten bzw. aufgezeichneten Bilder zu steuern. Denn wenn sich die Kamera bewegt, dann muss sich der Hintergrund simultan mitbewegen, damit die Perspektive stimmt und das Ganze real wirkt. Diese Technik ist ganz neu und wurde zuerst bei «The Mandalorian» eingesetzt, soviel ich weiss. Unser Team hat da ziemliche Pionierarbeit geleistet.
«1899» wird wieder auf einen Schlag veröffentlicht. Wie stehen Sie zu Binge Watching?
Das habe ich für mich noch nicht entschieden. Früher war es ja ganz normal, dass man jeweils eine Woche auf die nächste Folge einer Serie warten musste, was oft schwer fiel, weil man ja unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Dann arbeitete man eben eine Woche lang darauf hin, kam dadurch aber in den Genuss dieser Anspannung und der Vorfreude. Das hat seinen Reiz. Andererseits ist es natürlich auch toll, wenn man eine ganze Staffel am Stück durchgucken und somit durchweg am Ball bleiben kann. Ich denke, man erreicht mehr Zuschauer, wenn man eine Staffel in einem Stück anbietet und man sie ansehen kann, wann man möchte. Nicht alle Zuschauerinnen und Zuschauer liessen sich sonst acht Wochen lang bei der Stange halten. Andererseits muss man bedenken, dass wir mehr als ein Jahr lang an der Serie gearbeitet haben. Die «Macher» noch viel länger. Wenn man sich nun vorstellt, dass das alles in acht Stunden am Stück «durchgeguckt» wird, dann tut das schon auch ein bisschen weh.
Zum Review und dem Interview mit den Showrunnern Jantje Friese und Baran bo Odar geht's hier lang.
Netflix | Mysteryserie | 1. Staffel
Mit Andreas Pietschmann, Emily Beecham, Anton Lesser, Mathilde Ollivier
D 2022, ab 17. November 2022