Ein «Schoggiläbe» führen Anna Pieri Zuercher (42) und Carol Schuler (34) derzeit nicht: Sie drehen gerade die dritte und vierte Folge des neuen Zürcher «Tatorts» (siehe Kritik). Beklagen wollen sich die beiden aber nicht, sondern betonen unisono, wie froh sie sind, trotz Corona arbeiten zu können.
«Streaming» trifft die zwei Frauen auf dem fiktiven Polizeikommissariat in Zürich-Affoltern. Hier werden jene Szenen gedreht, in denen die Kommissarinnen Isabelle Grandjean (Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Schuler) ihre Verhöre führen und Bürokram erledigen.
Beim Interviewtermin herrschen strengste Sicherheitsvorkehrungen. Verständlich, denn ein Drehabbruch aufgrund von Covid-19 hätte verheerende Folgen – produktionstechnisch und finanziell.
Daher arbeitet das Team unter ganz anderen Bedingungen als noch bei «Züri brännt» und «Schoggiläbe». Die ersten zwei Episoden wurden nämlich noch vor dem Ausbruch der Pandemie abgedreht.
Pieri Zuercher und Schuler wirken entspannt und überraschend vertraut miteinander. Dabei stehen sie ja noch gar nicht so lange gemeinsam vor der Kamera.
Streaming: Ein «Tatort»-Dreh während Corona. Wie geht das?
Anna Pieri Zuercher: Nun ja, wir sehen um uns herum halt einfach nur Augen, aber das geht ja allen Menschen so. Dazu herrschen sehr strenge Hygienebestimmungen und überall Maskenpflicht.
Carol Schuler: Zudem werden wir täglich getestet. Das eigentliche Drehen hat sich aber zum Glück kaum verändert. Wir können uns sogar umarmen (sie lachen und fallen sich in die Arme).
Na, das dürfte beim Dreh ja kaum vorkommen. Einer der wenigen Kritikpunkte nach der Premiere war das Verhältnis zwischen Grandjean und Ott: Von «unnötigem Zickenkrieg» war mehrfach die Rede.
Schuler: Diese Kritik fand ich etwas bemühend. Bei zwei Männern wäre sicherlich gelobt worden, welch starke Charaktere sich hier aneinander reiben. Dabei liegt es doch auf der Hand, weshalb sich Isabelle und Tessa skeptisch gegenüberstehen: Sie kommen aus verschiedenen Welten. Aber klar, bei Frauen heisst es dann gleich «Zickenkrieg».
Ansonsten war das Echo grösstenteils positiv. Und das, obschon der «Tatort» eine heilige Kuh ist: Keine andere TV-Reihe wird wohl kritischer beäugt.
Pieri Zuercher: Ja, diesen Druck spürten wir ziemlich stark und waren entsprechend nervös. Umso schöner ist, dass das Publikum uns als Ermittler-Team offensichtlich mag und angenommen hat. Nicht nur hier in der Schweiz, auch in Deutschland und Österreich.
Schuler: Bezüglich Kritik hatte ich mich auf das Schlimmste eingestellt (lacht). Die vielen positiven Reaktionen waren dann natürlich eine Erleichterung. Ich muss zugeben, dass ich die Bedeutung und das Interesse etwas unterschätzt hatte, da ich nicht in einer Familie aufgewachsen bin, in welcher der «Tatort» fix zum Wochenprogramm gehört.
Sie drehen nun bereits die Teile 3 und 4. Verraten Sie uns doch bitte ein wenig darüber, wie’s bei Grandjean und Ott weitergeht.
Schuler: Auch in den kommenden Folgen sind sie nicht plötzlich ein Herz und eine Seele. Aber sie lernen sich langsam besser kennen und die Stärken der anderen schätzen.
Pieri Zuercher: Das zeigt sich etwa, wenn sie an einen Tatort kommen. Ich bzw. Isabelle sieht mit ihren Augen, sie registriert die Umgebung, macht Fotos und Notizen. Tessa hingegen «riecht» den Tatort erst mal, sie nimmt all das wahr, was man nicht auf den ersten Blick sieht …
Schuler: Ich spüre gewissermassen mehr die Aura (lacht).
Pieri Zuercher: Die Kombination dieser unterschiedlichen Frauen hat noch viel Potenzial. Aber da nur zwei Folgen pro Jahr ausgestrahlt werden, passiert die Entwicklung unserer Figuren natürlich sehr langsam.
Stefan Gubser und Delia Mayer, das Vorgänger-Team im Luzerner «Tatort», kritisierten wiederholt, auf diese Entwicklung zu wenig Einfluss zu haben. Gibt’s bei Ihnen da mehr Mitspracherecht?
Schuler: Ja, ich finde, dass wir unsere Vorstellungen tatsächlich einbringen können. Bei der Drehbuchsitzung besprechen wir mit der Regie, den Autoren und der Redaktion den Inhalt und geben viele Inputs, die oft auch aufgenommen werden. Denn Anna und ich kennen die Figuren in- und auswendig. Wir spüren sofort, wenn irgendwas nicht stimmig ist. Im Sinne von: Nie im Leben würde Tessa so reagieren oder Isabelle einen solchen Satz sagen.
Pieri Zuercher: Es gibt bei uns bezüglich der Figuren-Entwicklung kaum Diskussionen, weil wir uns alle an die «Bibel» halten, wie wir sie nennen. Darin ist jeder Charakter detailliert beschrieben: Wo kommt Isabelle her? Welche Ängste plagen Tessa? Was lieben, was hassen sie. Das gibt den Figuren Profil und eine gewisse Beständigkeit.
Schuler: Mit jeder Folge schlagen wir gewissermassen eine neue Seite auf und verraten ein Stück mehr über die beiden.
Es gibt ja «Tatort»-Teams, die ermitteln schon seit gefühlten 200 Jahren. Spürt man da eine gewisse Verpflichtung?
Pieri Zuercher: Für mich ist der «Tatort» eine Riesenchance, im deutschsprachigen Raum Fuss zu fassen. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn uns das Publikum will, kann ich mir durchaus vorstellen, die Isabelle längere Zeit zu spielen.
Schuler: Ich dachte vor dem Start eher: Hmm, vielleicht wird das ja nur ein kurzes Gastspiel, mal schauen. Doch nun bin ich verliebt (schaut zu Anna Pieri Zuercher, beide lachen schallend). Im Ernst: Es ist wirklich sehr entscheidend, wie gut man als Duo harmoniert – bei Anna und mir passt das perfekt.
Pieri Zuercher: Ich hoffe natürlich, dass wir mit 80 Jahren noch immer gemeinsam auf Verbrecherjagd gehen, beide mit dritten Zähnen …
Schuler: … und Rollator (Gelächter). Das hört sich doch toll an!