Serienschöpfer Oliver Ziegenbalg hätte wohl nie für möglich gehalten, was er von einem Wochenendausflug zu seinem Ferienhäuschen mal mitbringen würde. Es war etwa im Jahr 2015: Sein flüchtig bekannter Nachbar Joachim Sauter lud ihn zu einem Grillplausch ein, und Ziegenbalg fragte ihn, wohl eher aus Höflichkeit, was er denn gerade so mache. Sauter antwortete doch tatsächlich: «Ich verklage gerade Google auf fast eine Milliarde US-Dollar.» Ziegenbalg liess das Thema nicht mehr los: «So eine geile Geschichte kann man sich gar nicht ausdenken.»
Es ist jene der Computerpioniere Juri Müller und Carsten Schlüter (die Namen sind fiktiv), die in den 90er-Jahren eine Vision haben, die den Blick auf die Welt verändert: Was, wenn jeder Mensch virtuell an jeden beliebigen Ort der Welt gelangen könnte?
Aus dieser bis dato unmöglich erscheinenden Idee entwickeln die beiden im anarchischen Nachwende-Berlin einen revolutionären Algorithmus. Ein Programm, mit dem erstmals eine virtuelle Abbildung der Erde und eine ruckelfreie Navigation zu bestimmten Orten auf dem Computer möglich ist. Sie nannten das Projekt «Terra Vision» und stellten es 1994 auf der Tech-Messe ITU in Kyoto erfolgreich vor. Jahre später streben die beiden mittlerweile zerstrittenen Männer einen milliardenschweren Prozess in den USA an, um für Anerkennung zu kämpfen. Sie wollen beweisen, dass sie die Erfinder des Algorithmus sind, mit dem Google Earth 2005 unter grossem Trara online ging.
Ob Juri und Carsten das gelingt, wird natürlich nicht verraten. Nur so viel: Der turbulenten Dramaturgie von «The Billion Dollar Code» ist es zu verdanken, dass man als Zuschauer bis zur letzten Minute mit jenen Kämpfern mitfiebert, die in einen Krieg ziehen, den sie unmöglich gewinnen können.
Äusserst gelungen ist auch die Besetzung: Marius Ahrendt und Leonard Scheicher verkörpern die beiden IT-Nerds in den 90ern, für den Milliarden-Prozess schlüpfen Mišel Matičević und Marc Waschke in deren gealterte Pendants.
Doch die Geschichte von «Terra Vision» erzählt nicht nur von seinen Erfindern, sondern auch vom kompletten, komplexen Internetzeitalter, von Visionären und Träumern bis hin zur Digitalisierung unserer heutigen Welt.
Mit welchen Idealen ist diese Tech-Generation damals gestartet? Und was ist dann daraus geworden? Die Machtverhältnisse verschoben sich und überrollten die perplexen Pioniere. Heute stehen nicht sie im Rampenlicht, sondern jene Multimilliardäre, die Profit daraus zu schlagen wussten.
Um den Prozess möglichst authentisch darzustellen, wälzten die Serienmacher 3000 Seiten Gerichtsakten. Sie achteten minutiös darauf, die Drehbücher so zu verfassen, dass nichts objektiv behauptet wird, was nicht Teil des öffentlichen Kenntnisstands ist. Nur die Namen aller Beteiligten wurden geändert.
Das verfilmte Resultat seiner Geschichte konnte Joachim Sauter leider nicht mehr bewundern. Er ist diesen Sommer verstorben.
Netflix | Miniserie Mit Mark Waschke, Marius Ahrendt, Mišel Matičević, Leonard Scheicher, Lavinia Wilson
Die aufreibende & rührende Story von Internet-Pionieren
D 2021, ab 7. Oktober