Fantasy böte Raum für die unglaublichsten Geschichten. Und doch laufen viele – mal abgesehen von «Game of Thrones» – auf den Kampf von Gut gegen Böse hinaus. Oder: Licht gegen Schatten.
Die US-Autorin Leigh Bardugo, die als Fantasyfan mit all diesen Einflüssen aufwuchs, fackelte daher gar nicht lange mit zwielichtigen Metaphern rum: Ihr Böses ist die Dunkelheit, der Schatten. Und der Schurke heisst «der Dunkle». Simpel für das angepeilte junge Publikum. Doch das erlaubt es ihr, drum herum eine faszinierende Welt auszuschmücken.
Ihr Roman, wie nun auch die Netflix-Adaption «Shadow and Bone», spielt primär im Land Ravka, das an das russische Zarenreich des 19. Jahrhunderts angelehnt ist. Südlich liegt das mongolisch und chinesisch angehauchte Shu Han, und im Westen liegt die Insel Kerch. Mehr muss man gar nicht wissen, um sich rudimentär orientieren zu können.
Ah, doch: die Flur. Das ist der Ort der Schatten, in dem dämonische Kreaturen hausen. Dumm also, teilt sie Ravka regelrecht entzwei. Einzige Hilfe bieten die Grisha, eine Art magisch begabter Menschen, die zum Beispiel Feuer kontrollieren oder heilen können. Sie ermöglichen es den Bewohnern Ravkas, die Flur in Landschiffen zu durchqueren.
Auf einem solchen Schiff ist auch Alina Starkov (Jessie Mei Li) mit ihrem Jugendfreund Mal (Archie Renaux). Wegen eines Malheurs geht das Licht an Bord aus, und die Monster greifen an. Im Moment tiefster Verzweiflung bricht aus Alina ein Licht heraus: Sie ist eine Grisha. Nicht irgendeine, denn schon lange erzählen Legenden von einer Grisha, die das Licht kontrollieren und ein Ende der Flur bringen kann.
Also darf Alina an den Hof des Zaren und wird vom charmanten General Kirigan (Ben Barnes) geschult, nun eben: dem Dunklen. Dass der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, darf man voraussetzen.
Neben dieser Haupthandlung gibt es Rückblenden in die Jugend von Alina und Mal, aber auch eine Parallelhandlung um eine Gaunerbande. Showrunner Eric Heisserer (der Autor des oscarnominierten Drehbuchs von «Arrival») kann mit seinem Team dabei ganz auf Bardugos Weltenbau setzen: Die pseudorussische Gesellschaft von Ravka ist faszinierend, und der phantastische Aspekt schleicht eher langsam in die Geschichte, was es auch einem weniger Fantasy-affinen Publikum erlaubt, in die Handlung zu finden.
Ein Trick, den auch George R. R. Martin anwendete. Obwohl dieser schwerere Kost servierte – ein Fan ist Bardugo trotzdem. So sagte sie, dass sie nach dem Lesen der ersten Bücher von Martins «Lied von Eis & Feuer» (aka «Game of Thrones») für einige Wochen das Schreiben aufgab. «Wozu auch», habe sie gedacht, «an das komme ich eh nicht ran.»
Wer weiss. Auf jeden Fall macht die ausladend ausstaffierte Adaption ihrer Bücher Lust auf mehr.
Weiter ins Detail dürfen wir wegen einer Sperrfrist nicht gehen, obwohl wir die ersten Folgen sehen konnten. Nur dies: Es lohnt sich! Mehr dazu in «Streaming» Nr. 5.
Netflix | Fantasyserie | 1. Staffel |
Mit Jessie Mei Li, Archie Renaux, Ben Barnes; Showrunner: Eric Heisserer
Alles andere als knochentrocken, diese Phantasiewelt.
ab 23. April