Superhelden sind moralisch integer, sieht man mal von den Antihelden und grauschattierten Exemplaren à la «Deadpool» ab. Für Sheldon Sampson alias «The Utopian» gilt daher seit Jahrzehnten das Credo: Wir töten nicht, wir führen nicht – wir inspirieren.
Sheldon ist der Held von «Jupiter’s Legacy» nach einem Comic des Schotten Mark Millar. Der ist bekannt für exzessive Stoffe, von «Kick-Ass» bis «Kingsman», doch diese 2013 mit seinem Landsmann Frank Quitely ins Leben gerufene Comicreihe geht erwachsenere Themen an. Etwa die Schattenseiten des Kapitalismus, die Demontage des amerikanischen Traums oder Ideale, die an die nächste Generation vermittelt werden.
Sheldon, in der Serienadaption nun gespielt von Josh Duhamel, ist eine Art Superman: Seine Kräfte hat er wie seine Frau «Lady Liberty» Grace (Leslie Bibb) seit den 1930ern. Mit hohen moralischen Wertvorstellungen führen sie eine Superheldengruppe namens The Union an, welche die Welt beschützt, aber eben niemals in die Geschichte eingreift. So hat das lange funktioniert. Doch Sheldon ist alt geworden. Und seine Kinder sind nicht ganz auf seiner Wellenlänge.
Da ist Chloe (Elena Kampouris), die von dem ganzen Heldengedöns nichts hält. Lieber knallt sie sich ihren Kopf mit Drogen voll, geniesst Sex und Partys. Zweiter Spross ist Brandon (Andrew Horton), der designierte Nachfolger von Sheldon. Seine Kräfte sind aber nicht vollends entwickelt, daher schlägt er sich unmotiviert als Promi durchs Leben.
Beim Kampf gegen den monströsen Blackstar kommt es jedoch zu einem Schlüsselmoment: Während Sheldon und die anderen Superhelden den Angreifer kaum in den Griff bekommen und sogar einige von ihnen getötet werden, dreht Brandon durch: Er holt aus und schlägt Blackstar einen Teil des Kopfs weg. Brandon hat getötet! Ein grosses No-Go in Papas Augen.
Mehr dürfen wir aufgrund der Sperrfrist nicht erzählen. Nur dass die Reihe recht entspannt beginnt, aber Tempo aufnimmt und in den Schlussepisoden in wilde Sphären vordringt.
Zentral ist auch, dass die Geschichte auf zwei Zeitebenen läuft. Der Hauptteil spielt in der nahen Zukunft, mit Sheldon und Grace als grauhaarige Eltern. Der andere Strang setzt in den späten 1920ern ein, als die Grosse Depression die Firma von Sheldons Vater in den Ruin trieb. Und den Vater vom Dach springen liess. Wir treffen in jener Zeit auch die anderen Personen aus Sheldons Umfeld: seinen Bruder Walter (Ben Daniels), den reichen Schnösel George (Matt Lanter) und Grace, die damals noch Journalistin war. Sie alle sind dann auch in der Zukunft relevant.
Der 48-jährige Josh Duhamel wirkt zum Glück jugendlich genug, um diese Rückblicke glaubhaft zu meistern. Auf alt getrimmt ist er allerdings am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig. Dasselbe gilt für seine Co-Stars. Trotzdem funktioniert die Zwei-Zeitebenen-Erzählweise gut, besonders gegen Ende, wenn sich alles zuspitzt.
Weniger geglückt sind manchmal die Spezialeffekte – vor allem wenn die Charaktere mit Hilfe von Greenscreen durch die Lüfte fliegen, braucht’s etwas Goodwill. Das macht «Jupiter’s Legacy» aber durch seine Themen wett. Eben: für Mark Millar recht erwachsen.
Mehr sollte auf jeden Fall folgen, denn die Story wird in den acht Episoden eigentlich nur angerissen. Der Stoff dafür ist jedenfalls da, schliesslich ist dies Millars bislang längste Comic-Schöpfung. Und mehr noch: Netflix ist seit 2017 stolzer Besitzer von Millarworld, dem Comicverlag von Mark Millar.
Das heisst, dass noch andere Adaptionen anstehen. Eine Serie von «American Jesus», eine Zeichentrickserie von «Supercrooks» sowie Filme von «Prodigy», «Huck», «Empress» und anderen. Die volle Dröhnung Mark Millar also.
Schliesslich will Netflix ja von seiner Anschaffung auch profitieren.
Netflix | Fantasyserie | 1. Staffel | USA 2021
Mit Josh Duhamel, Leslie Bibb; Showrunner: Steven S. DeKnight («Spartacus»)
Generationenkonflikt im Superheldenkostüm.
ab 7. Mai