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Sky Show

Industry – Gefangene der Gier

Wer wird Börsenstar? Die Serie «Industry» ist ein Finanzdrama ohne Moralkeule.

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Industry

Jung-Komparsen des Kapitals: Robert, Yasmin, Harper, Gus und Hari (v. l.).

ZVG

Mach deine Klienten reicher, mach die Firma reicher, mach dich reicher!» Eine unmissverständliche Ansage empfängt die Neuankömmlinge an ihrem ersten Arbeitstag bei der mächtigen Londoner Investmentbank Pierpoint & Co., in deren Tradinghallen täglich mit Milliarden jongliert wird. 

Das angeheuerte Frischfleisch besteht aus fünf Elite-Uni-Absolventen, die sechs Monate Zeit haben, zu beweisen, warum sie unverzichtbar sind als künftige Löwen im Olymp des ungebremsten Raubtierkapitalismus, ob sie die Gene besitzen für den «Master of the Universe». Ob sie über Leichen gehen – Empathie ist schliesslich der Hauptfeind jeglicher Gewinnoptimierung. 

Die HBO/BBC-Produktion «Industry» spielt im Jahr 2008, kurz vor Ausbruch der Finanzkrise. Zu einer Zeit also, die volltrunken war vom Rausch der Geldvermehrung. Man ignorierte sämtliche Warnleuchten eines bereits gigantisch überhitzten Marktes, feierte eine nie enden wollende Party. Ein Feigling, wer sich vor dem Kater danach fürchtete. 

Das gilt auch für die fünf Praktikanten bei Pierpoint & Co. Auf allen lastet der Druck der Versagensangst. Alle werden von den angestammten Platzhirschen wie Zirkusbären durch die Arena gezerrt, mal mit rassistischen oder sexistischen Bemerkungen etikettiert, mal der Lächerlichkeit preisgegeben. Etwa als Absolvent Robert (Harry Lawtey) mitleidig-hämische Kommentare erntet, da sein Businessanzug ein Billigmodell von der Stange ist. 

Doch durch diese Hölle müssen die Newbies nun mal durch. Hat man denn eine Wahl? Nein, der Arbeitgeber heisst ja nicht Greenpeace. 

Die Jungen, allen voran die dunkelhäutige Yasmin (Marisa Abela), wissen genau, dass ihre Mission keinen nachhaltigen Mehrwert schafft. Als Yasmin mit einem Kollegen, der Künstler ist, einen Joint raucht, sagt dieser: «Bei euch zählt nur der pure Egoismus. Ihr bewertet Erfolg nur mit der Höhe eures Einkommens.» Logisch, kann Yasmin kaum widersprechen. Renditemaximierung gehört zur DNA ihres Jobs. 

Dafür schuften die Aspiranten bis spät in die Nacht, verlängern den Wachzustand dank ein paar Linien Koks in der Disco ihres Vertrauens – Quickie auf dem Klo inklusive. Selbst Sex ist bei dieser Spezies am Ende vor allem eins: ein Spiel um Macht.

«Industry» weist ähnliche Symptome wie andere Serien über die Finanzbranche auf: Man tut sich sehr schwer, eine Art Mitgefühl für die fünf Börsen-Desperados zu entwickeln. Wie auch? Sie sind nun mal Teil eines Systems, das nur Täter formt. Deshalb ist «Industry» redlich. Es spielt nichts vor, verzichtet auf Tränendrüsen-Exzesse, so wie einst auch Oliver Stone in «Wall Street», dem Mutterdrama der Verfilmungen über den Finanzsektor. Damals siegte bekannterweise das Märchen der Gerechtigkeit. 

«Industry» überzeugt vor allem durch eine perfekt gedimmte, entschleunigte Szenerie. Hektische Bildschnitte sind selten, das Ganze wirkt teils wie eine Art Fernsehspiel. 

Die mit brillanten Schauspielern besetzte Serie porträtiert die innere Zerrissenheit von fünf Jung-Komparsen des Kapitals. Gefangene ihrer Gier, die ahnen, dass der Weg aus dem Luxuskäfig einen hohen Preis hätte. Den Preis der Selbstreflexion. 

Industry ★★★★☆

Sky Show | Dramaserie | 1. St. | GB 2020

Mit Marisa Abela, Harry Lawtey, David Jonsson, Myha’la Herrold, Nabhaan Rizwan u.a. 

Elegant skizzierte Abhandlung der Finanzkrise

ab 30. Dezember

Von Gion Stecher am 30. Dezember 2020 - 06:09 Uhr