Hör mal wer da schwurbelt

Was sollen bloss all die verschwundenen Jugendlichen? In gefühlt jedem zweiten Krimi oder jeder dritten Serie verschwindet irgendein Teenager spurlos. Anschliessend wird ermittelt und gefahndet und verhört und verhaftet. Alles schon gesehen, alles schon bekannt.

Auch in «Where’s Wanda?» geht eine 17-Jährige verloren – so viel verrät ja schon der Titel. Aber diese unglückliche Ausgangslage ist so ziemlich das Einzige, was die erste deutsche Apple-Originalserie mit anderen Teeniedramen und Krimis gemeinsam hat.

Doch der Reihe nach: Im beschaulichen Städtchen Sundersheim sind alle aus dem Häuschen: Die Nuppelwockennacht steht an! Der Nuppelwocken ist eine Sagengestalt, genauer gesagt ein Monster, das einmal im Jahr die Stadt heimsucht und sich die hübscheste Jungfrau schnappt. Und in dieser Nacht verschwindet nun eben Wanda Klatt (Lea Drinda).

Zuletzt sah man sie im roten Regenmantel auf ihrer roten Vespa davonfahren. Die Polizei fahndet in alle Richtungen, doch Kommissarin Rauch (Nikeata Thompson) fischt im Trüben. Also machen sich Wandas Eltern – Carlotta (Heike Makatsch) und Dedo (Axel Stein) – selber auf die Suche.

Umständlich besorgen sie sich im Fachmarkt und Darknet Abhör-Equipment: Wanzen, Richtmikrofone, Minikameras, Drohnen. Die bringen sie Stück für Stück in den Häusern verdächtiger Bewohner von Sundersheim an. Und bald steigt auch Wandas Bruder Ole (Leo Simon) in die Aktion ein.  

Die Klatts stellen sich dabei dusselig und dilettantisch an. Statt Hinweise auf Wandas Verbleib, bekommen sie Einblick in peinliche Familiengeheimnisse und gestörte Beziehungen. Das führt oft zu urkomischen Szenen und unvermeidbaren Fremdscham-Momenten.

Aber halt! Darf man überhaupt lachen, wenn ein Mädchen verschwunden ist, von dem man nicht weiss, ob es noch lebt? Man darf. Denn als Stilmittel hören wir immer wieder Wandas Stimme aus dem Off. Sie erzählt, wie sich alles zugetragen hat. Also kann man getrost davon ausgehen, dass sie noch am Leben ist. Ein weiteres, äusserst reizvolles Stilmittel sind die ständigen Zeitsprünge: Wir zählen die Tage seit Wandas Verschwinden, und es wird fleissig vor- und zurückgespult.

Obwohl wir an dieser Stelle nicht zu viel verraten dürfen, sei gesagt: Apple TV+ hat hier einen grossen Wurf gelandet. Die Besetzung passt wie die Faust aufs Auge – bis in die Nebenrollen. Devid Striesow erinnert als Macker Rüdiger mit gebleichtem Pferdeschwanz und Synthetik-Jacke wohl nicht zufällig an Joe Exotic alias Tiger King. Und Kostja Ullman setzt als überambitionierter Tanzlehrer ein weiteres, pink glitzerndes Ausrufezeichen.

Ob die bitterböse Dark Comedy auch beim internationalen Apple-Publikum Anklang findet? Na, das wollen wir doch schwer hoffen!