Fliegende Fäuste & flinke Finger

Ein Boxer-Epos, eine Emanzipationsgeschichte, ein Heldendrama – die neue Serie «A Thousand Blows» ist alles in einem. Steven Knight erzählt die Geschichte dreier ganz unterschiedlicher Menschen, deren Wege sich kreuzen, angesiedelt im viktorianischen Zeitalter in London.

Moment mal, Steven Knight? Da war doch was! Genau: Jener Steven Knight, der die Kultserie «Peaky Blinders» schuf, widmet sich nun erneut einem historischen Stoff. Inspiriert von wahren Begebenheiten, lässt er uns ins brodelnde Londoner East End abtauchen, wo Henry «Sugar» Goodson (Stephen Graham) im Hinterzimmer seines Pubs, des «Blue Coat Boy Inn», illegale Boxkämpfe veranstaltet.

Gefightet wird mit blossen Händen, es spritzt Blut – und nicht selten endet ein Kampf auch tödlich. Am liebsten prügelt der alternde Sugar gleich selber drauflos und vermöbelt jeden, der es wagt, zu ihm in den Ring zu steigen.

Unter das hitzige Boxpublikumgewusel mischen sich auch Mary Carr (Erin Doherty) und ihre Gefährtinnen. Die Frauen sind als «Forty Elephants» bekannt, eine weibliche Verbrecherbande, die sich auf Taschendiebstähle und Einbrüche spezialisiert hat. Eines Tages betreten zwei fremde Männer den Club: Hezekiah Moscow (Malachi Kirby) und sein bester Freund Alec Munroe (Francis Lovehall). Die beiden kommen direkt aus Jamaika und sind auf der Suche nach dem grossen Glück. Als sein ursprünglicher Plan, ein Löwenbändiger zu werden, scheitert, steigt Hezekiah halt auch in den Ring. Das Naturtalent geniesst schon bald einen vielversprechenden Ruf als Boxer, der weit über das versiffte East End hinaushallt.

Etwa ins noble West End, wo in feinen Häusern mit ledernen Boxhandschuhen unter Kronleuchtern gekämpft wird. Logisch, dass dort auch die Preisgelder höher sind als jene in Sugars miefigem Hinterzimmer.

Die Idee für die Serie «A Thousand Blows» (dt. «Tausend Fausthiebe») hatte nicht etwa Steven Knight, sondern Sugar-Darsteller Stephen Graham. Genau genommen war es seine Frau, wie Graham gegenüber TELE verrät: «Ich bekam per Zufall eine Fotografie von Hezekiah Moscow in Boxkleidung in die Hände», so der 51-Jährige. Denn neben Mary Carr und Sugar Goodson gab es vor rund 140 Jahren tatsächlich auch einen Hezekiah Moscow. «Ich hatte noch nie ein Foto eines schwarzen Mannes Ende des 19. Jahrhunderts gesehen, der so stolz, so königlich, so selbstsicher, so voller Anmut, Würde und Demut war», schwärmt Graham im Interview.

Er habe wissen wollen, wer dieser Mann auf dem Foto war und wie sein Leben verlief. «Da hatte meine Frau die Idee, dass Steven Knight die beste Person wäre, um diese Geschichte zu schreiben», grinst Graham, der «A Thousand Blows» mitproduziert hat. Und ähnlich wie schon bei «Peaky Blinders» liess sich Drehbuchautor Steven Knight von realen Persönlichkeiten inspirieren.

Nochmals: Sugar Goodson, Hezekiah Moscow und Mary Carr mit ihren «Forty Elephants» haben alle tatsächlich existiert. «Steven Knight hat diese drei Charaktere genommen und in dieser Geschichte miteinander verheiratet.» Und Knight hat geliefert, denn die Story über diese drei Figuren, die auf den ersten Blick so gar nichts miteinander gemein haben, entwickelt sehr bald einen starken, erzählerischen Sog.

Diese bunten Figuren, die sich in einer derart tristen Umgebung tummeln, sind faszinierend anzuschauen. Und wie schon bei den knüppelharten Gangstern in «Peaky Blinders» wird auch hier nicht zimperlich miteinander umgegangen. Nach den sechs Episoden der ersten Staffel hat man sogar den Eindruck, dass da weit mehr als bloss tausend Faustschläge ausgeteilt und kassiert worden sind.

Einen kleinen Wermutstropfen gibt es allerdings: Die erste Staffel endet ziemlich abrupt. Gerade als die Story eine unerwartete Wendung nimmt, ist Schluss. Gut zu wissen, dass weitere sechs Folgen bereits abgedreht sind.