Gute Filme müssen nicht teuer sein. Dies bewies etwa 1997 die Komödie «Ganz oder gar nicht», die sich unter dem englischen Originaltitel «The Full Monty» vom Geheimtipp zum Kinohit und letztlich zum Kultstreifen mauserte.
Es geht darin um eine Clique einfacher Kerle, die zwar keinem Schönheitsideal entsprechen, aber nach einem Gastspiel der Chippendales zu Strippern werden. Ihr Ziel: sich aus einer misslichen wirtschaftlichen Lage zu befreien. Der Mix aus Tragik und Komik machte den Reiz aus und den Streifen zu einem Publikumsliebling – längst nicht nur bei Frauen.
Gross war darum die Spannung, wie Drehbuchautor Simon Beaufoy («Slumdog-Millionär») die Geschichte 25 Jahre später in Serienform weiterführt.
Für die beiden Kumpels Gaz (Robert Carlyle) und Dave (Mark Addy) sieht es finanziell sogar noch schlechter aus als damals. Die Arbeitslosigkeit ist unverändert hoch, Bildungs- und Gesundheitswesen stehen kurz vor dem Kollaps. Allen Widrigkeiten zum Trotz versuchen die zwei mit Menschlichkeit und Gemeinschaftssinn über die Runden zu kommen.
In der Serie kehrt die gesamte Besetzung des originalen Kinofilms vor die Kamera zurück. Es gibt also nicht nur ein Wiedersehen mit den Sympathieträgern Robert Carlyle und Mark Addy, sondern auch mit Lesley Sharp, Hugo Speer, Paul Barber und Tom Wilkinson. Wie der Film gibt sich auch die Serie sehr sozialkritisch und zeigt die politischen Versäumnisse der Briten im Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitsbereich auf.
Jede Fortsetzung steht vor der Herausforderung, den Fans genügend Vertrautes, aber auch Neues zu bieten. Funktioniert dies etwa bei der «Karate Kid»-Serienfortsetzung «Cobra Kai» sehr gut, so geht es hier nun gar nicht mehr ums Strippen. Zumindest nicht so, wie man es in «Magic Mike XXL»-Zeiten erwarten würde.
Vielmehr dreht sich die Handlung um Fassaden, Erwartungen, Überzeugungen, Vermutungen und die Lüge, wonach man sich einredet, alles sei «in Ordnung». Im gesellschaftlich maroden Brexit-England trifft die Serie den Zeitgeist mit einer Lebensnähe, der man sich nur schwer entziehen kann. Es gibt nicht wirklich gute oder schlechte Charaktere. Vielmehr dreht sich alles um ganz normale Menschen, mit all ihren Eigenheiten.
Die Serie lässt sich gerade in den ersten drei Episoden ziemlich Zeit, um auf den Punkt zu kommen. Doch je länger sich die Story entwickelt, desto mehr gewinnt sie an Überzeugungskraft und Herzlichkeit. Die jüngeren Figuren bringen naturgemäss neuen Schwung, aber letztlich hätte man sich doch etwas mehr Esprit gewünscht.
Disney+ | Dramedyserie | 1. Staffel
Mit Robert Carlyle, Mark Addy, Tom Wilkinson
GB 2023, ab 12. Juli 2023