Tippt man bei Wikipedia «Stockholm-Syndrom» ein, spuckt die Online-Enzyklopädie Folgendes aus: «Ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen.» Die meisten haben wahrscheinlich schon mal davon gehört oder gelesen. Doch was die schwedische Hauptstadt darin zu suchen hat, wissen die wenigsten.
Dazu muss man erst mal den 1947 geborenen Clark Olofsson kennenlernen. Der Schwede ist ein Krimineller und durchlebte eine traumatische Kindheit, um ein solcher zu werden: Der Vater war ein Alkoholiker und verliess die Familie, die Mutter landete in der psychiatrischen Klinik, worauf man den elfjährigen Clark von Pflegefamilie zu Pflegefamilie schob. Mit 16 wurde er straffällig, mit 19 kam er erstmals in den Knast. Wenige Jahre später stand er auf den Fahndungslisten – wegen Drogenhandel, Raub, Körperverletzung und versuchten Mordes.
Doch Olofsson hob sich von Seinesgleichen ab: Er sah umwerfend aus und war überaus charmant. Und so begründete er 1973 das besagte Stockholm-Syndrom und brachte sogar halb Schweden dazu, ihn zu mögen. Mit einem Komplizen hielt er vier Geiseln während 131 Stunden in einer Stockholmer Bank fest. Er band ihnen einen Strick um den Hals, damit sie sich erhängten, falls die Polizei – wie angedroht – Gas in die Bank leiten sollte.
Trotzdem begannen die Opfer sich mit ihren Peinigern zu solidarisieren, da vor allem Clark sich ihnen gegenüber sehr zuvorkommend und verständnisvoll verhielt. Ihre Sympathie entwickelte sich in solchem Masse, dass sie sich bei ihrer Befreiung weigerten, die Bank zu verlassen – aus Angst, die Polizei würde die Bankräuber erschiessen.
Die fiktionale Miniserie mit dem simplen Namen «Clark» basiert auf Olofssons 2015 erschienener Autobiographie und erzählt den Werdegang einer der ambivalentesten Persönlichkeiten der schwedischen Zeitgeschichte. Seine Rolle übernimmt Stellan Skarsgårds Sohn Bill, der als Pennywise in Stephen Kings Horrorroman-Neuverfilmung «Es» internationale Bekanntheit erlangte.
Laut einem Einblick, den Netflix gab, erwartet uns eine True-Crime-Serie mit viel Drama, Action, Emotionen und jeder Menge augenzwinkerndem Humor. Clark Olofsson wurde letztmals 2018 nach neunjähriger Haftstrafe wegen schwerer Drogendelikte aus einem belgischen Gefängnis entlassen. Der 75-Jährige lebt heute wieder in Schweden – als freier Mann – und hat insgesamt sechs Kinder von drei Frauen.
Netflix | Miniserie
Mit Bill Skarsgård, Sandra Ilar, Vilhelm Blomgren, Adam Lundgren
S 2022, ab 5.Mai 2022