Anstand lässt sich nicht kaufen

Da stehen sie wieder, die Angestellten des Luxushotels White Lotus. Angestrengt lächelnd und winkend empfangen sie die eintrudelnden Gäste. Das Begrüssungsritual war fixer Bestandteil der ersten zwei Staffeln. Daran wird auch in der dritten nicht gerüttelt. Genauso wenig wie an der Vorschau auf das düstere Finale.

Doch schön der Reihe nach. Fordert man den bekennenden Fan auf, zu erzählen, worum es in der HBO-Serie «The White Lotus» geht, kommt er wohl erst mal ins Straucheln: «Da checken ein paar superreiche, arrogante Schnösel in ein Luxushotel ein – und dann reden sie eigentlich bloss die ganze Zeit.» Klingt langweilig? Ist es aber nicht! Denn unter der illustren Oberfläche brodelt ein hochtoxischer Cocktail aus Gier und Narzissmus mit sozialer Sprengkraft.

Serienschöpfer, Drehbuchautor und Regisseur Mike White (54) versteht es, belanglose Gespräche über Liegestühle und Horsd’œuvres in eine Milieustudie mit maximalem Unterhaltungswert zu verwandeln. Sozialkritik und Luxusferien treffen aufeinander und liefern gemeinsam eine bissige Realsatire ab. Zuerst bringen die selbstverliebten Gäste mit ihren Extrawünschen das gebeutelte Hotelpersonal an seine Grenzen, danach fangen sie an, sich gegenseitig anzustacheln. Und irgendwann liegt jemand tot im vermeintlichen Paradies.

In den ersten zwei Staffeln ging es nach Hawaii und Sizilien, nun wird die Emmy- und Golden-Globe-prämierte Lotusblüte auf eine thailändische Insel verpflanzt.

Die neuen Gäste? Ein gewohnt skurriler Mix: Walton Goggins als verstockter Dauergriesgram, der mit seiner blutjungen, freigeistigen Freundin (Aimee Lou Wood; «Sex Education») anreist; ein Freundinnen-Trio um eine divenhafte Schauspielerin (Michelle Monaghan), das sich mit Cocktails und emotionalen Dramen durch die Ferien süffelt. Und ein Geschäftsmann (Jason Isaacs), von seiner Familie offenbar zum Job-Detox verknurrt, der es gleichwohl nicht lassen kann, permanent am Handy zu kleben.

Als Überraschung im Cast erweist sich Patrick Schwarzenegger: Er gibt einen blasierten Firmenerben, der in seiner ersten Szene so steif mit Sonnenbrille dasitzt, als würde er jeden Moment anfangen, mit steirischem Akzent Papa Arnolds Paraderolle zu persiflieren. Apropos Akzent: In die Rolle des schrulligen Hoteldirektors schlüpft in der neuen Staffel der deutsche Schauspieler Christian Friedel («Babylon Berlin»).

Nachdem alle Figuren die Bühne betreten haben, dauert es nicht lange, bis sich vor der Kulisse pastellfarbener Sonnenuntergänge die ersten tiefen Abgründe auftun. «The White Lotus» ist der bittersüsse Beweis dafür, dass sich mit Geld zwar vieles kaufen lässt, aber ganz sicher kein Anstand. Und weil Schadenfreude bekanntlich die schönste Freude ist, hat HBO bereits die Produktion von Staffel vier bestätigt.