Sehen, was man will, wann man will und so oft man will – bei einem Angebot von tausenden Filmen, Serien und Dokumentationen. Und dies zu einem akzeptablen Preis. Als Netflix 2014 den Schweizer Markt betrat, herrschte nicht nur beim US-Streamingdienst Goldgräberstimmung, sondern auch bei seinen zukünftigen Abonnenten.
Und die klassischen TV-Sender? Die würden laut Experten gegen die übermächtige Konkurrenz aus Übersee chancenlos und dem Untergang geweiht sein. Tatsächlich baute Netflix seine Anzahl an Abonnements stetig aus und registrierte im Corona- und Homeoffice-Jahr 2020 sogar noch einen zusätzlichen Kundenschub. Doch 2022 zeichnete sich eine Trendwende ab, die nun offiziell bestätigt wurde. Salopp formuliert: Die fetten Jahre der Streamingdienste sind vorbei.
Der IGEM-Digimonitor erhebt einmal im Jahr repräsentativ die audiovisuelle elektronische Mediennutzung in der Schweiz und veröffentlichte Ende August die neusten Resultate. Für Netflix fallen diese ernüchternd aus: ein Minus von 300 000 Zuschauer/-innen im Vergleich zum Vorjahr, was einem Verlust von knapp 10 Prozent entspricht. Doch nicht nur Netflix leidet unter schwindenden Zuschauerzahlen, auch andere Streamingdienste wie Disney+ verzeichnen Rückgänge.
Ist die Schweiz streamingmüde geworden? Vielleicht. Oder aber: Die Leute wurden vergrämt, um beim Beispiel Netflix zu bleiben. Der Streaming-Gigant hat sich nämlich in letzter Zeit nicht gerade kundenfreundlich gebärdet. Seit 2014 hob er die Abopreise sukzessive um bis zu 50 Prozent an. Rechtfertigung dafür: die steigende Angebotsfülle. In der Tat haut Netflix im Wochentakt Eigenproduktionen in Hülle und Fülle raus, muss aber auch laufend lizenzierte Titel an andere Anbieter abtreten.
Der nächste Affront kam diesen Mai: Der US-Streamer ging vehement gegen das Passwort-Sharing vor. Was allerdings sein gutes Recht ist: Die gemeinsame Nutzung eines Kontos (und damit des Passworts) ist laut Vertrag nur für Personen erlaubt, die im selben Haushalt leben.
Blöd dabei ist nur, dass reguläre Abonnenten/-innen unterwegs im Zug oder in einem Hotelzimmer plötzlich von ihrem Konto ausgesperrt werden und sich durch Warnmeldungen und Code-Eingaben kämpfen müssen, um wieder Zugang zu ihren Lieblingsserien und -filmen zu erhalten. Das sorgt für Frust und Ärger und verleitet manche User zur Kündigung. Und doch folgten andere dem Beispiel von Netflix: Auch Disney+ kündigte kürzlich an, gegen das Teilen von Passwörtern vorzugehen.
Bei aller Kritik sollte man fairerweise aber auch erwähnen, weshalb einige Anbieter Massnahmen ergreifen. Der Streaming-Markt ist härter umkämpft denn je. In den letzten Jahren sind viele neue Anbieter hinzugekommen. Die Konkurrenz ist gross und stark. Einige Anbieter haben bereits kapituliert: Lionsgate+ (ehemals Starzplay) etwa stellte letztes Jahr gleich in mehreren europäischen Ländern seinen Dienst ein. Davon betroffen waren Frankreich, Italien und auch der gesamte deutschsprachige Raum.
Den nächsten Knall gab es im Juni: Sky Deutschland kündigte an, die Produktion sämtlicher fiktionaler Serien einzustellen. Laut einem Bericht des US-Branchenblatts «Variety» wurde diese Entscheidung mit steigenden Produktionskosten und ebendieser wachsenden Konkurrenz durch neue Streaminganbieter begründet. Ein folgenschwerer Entscheid, der auch ausgezeichnete Serien wie «Das Boot» und «Babylon Berlin» betrifft.
«Babylon Berlin» wird die ARD in Kooperation mit einem anderen Partner weiterdrehen. Von «Das Boot» konnte immerhin die vierte Staffel noch abgeschlossen werden. Sie startet am 23. September. Wie es dann weitergeht, steht noch nicht fest.
«6,3 Millionen Personen in der Schweiz schauen regelmässig TV – das sind stolze 93 Prozent!»
Jetzt kommt der Clou! Katerstimmung herrscht nicht etwa in der ganzen audiovisuellen Unterhaltungsbranche: Die Popularität des klassischen, linearen Fernsehens ist ungebrochen hoch. Die bemerkenswerten Zahlen: 6,3 Millionen betätigen regelmässig den On-Knopf ihrer TV-Fernbedienung, das sind stolze 93 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Wobei knapp 5 Millionen von ihnen ab und zu zeitversetzt fernsehen – mittels Replay-TV oder etwa über die SRF-App bzw. -Mediathek.
Die IGEM-Digimonitor-Studie hat auch die Annahme widerlegt, dass vorwiegend ältere Personen TV schauen: Über zwei Drittel der unter 30-Jährigen schalten mindestens einmal pro Woche das Fernsehgerät ein. Totgesagte leben also tatsächlich länger.
Apropos: Als mit Abstand grösster Gewinner geht der Teletext hervor. Trotz Klötzchengrafik und steinalter Technologie lockt der über 40 Jahre alte Dienst in der Schweiz regelmässig 2,5 Millionen vor die Kiste. Über eine halbe Million mehr als noch letztes Jahr. Warum rattert das Fossil so munter weiter? Nun, der Teletext ist einfach und unkompliziert. Man kann darin blättern wie in einer Zeitung. Fast schon analog. Dieses Bedürfnis scheint es also auch im digital-mobilen Informationszeitalter nach wie vor zu geben. Das bringt Orientierung in der oftmals verwirrenden, unübersichtlichen Multimedia-Sturmflut.