Sie ist nicht nur der Star der Miniserie «I May Destroy You» (wieder auf Sky Show, Review hier) – Michaela Coel schrieb auch das Drehbuch dazu. Genauer gesagt verfasste sie gleich 191 Versionen davon, bis sie damit zufrieden war. Der Inhalt ist für die 33-Jährige nämlich sehr persönlich: Er handelt von ihrer eigenen Vergewaltigung vor fünf Jahren.
Die Tochter ghanaischer Einwanderer kam als Michaela Ewuraba Boakye-Collinson in London zur Welt. Ihre alleinerziehende Mutter schickte das aufgeweckte Mädchen auf eine Grundschule, wo sie das einzige nicht weisse Kind war. Dort wurde Michaela täglich gemobbt und rassistisch beleidigt – und mobbte entsprechend zurück. Sie lernte auf die harte Tour, sich durchzusetzen.
Im Alter von 23 Jahren änderte sie ihren Nachnamen in Coel und entschied sich für eine Schauspielkarriere. Sie wurde an der renommierten Guildhall School of Music & Drama angenommen – «wo ich mal wieder das einzige schwarze Mädchen im Dorf war». Dort schrieb sie im zweiten Jahr eine One-Woman-Show mit dem Titel «Chewing Gum Dreams». Diese handelt von einem strenggläubigen Teenie-Girl, das unbedingt seine Unschuld verlieren will. Die Story basiert auf Coels Phase als evangelikale Christin zwischen 18 und 21 – «allerdings war ich in Wirklichkeit nicht ganz so männergeil». Ein TV-Produzent sah eine der Aufführungen, war völlig begeistert und brachte die Show 2015 als Serie mit Coel in der Hauptrolle ins britische Fernsehen.
Auf der Woge des Erfolges kam 2016 Coels grösstes Trauma: In einer Londoner Bar wurde ihr eine betäubende Droge in den Drink gemischt. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hatte sie nur noch vage Erinnerungen an die Ereignisse der vergangenen Nacht. In ihrem Kopf spukten abgehackte, verschwommene Bilder zweier Männer herum, die sie sexuell missbraucht hatten.
Um das Gewaltverbrechen zu verarbeiten, begann Coel, darüber in der dritten Person zu schreiben: «Ich ging der Frage nach, wie man sich wieder zu einem Ganzen zusammenfügt, nachdem man an einem Trauma zerbrochen ist.» Um Ruhe beim Schreiben zu haben, zog sich Coel an abgeschiedene Orte zurück – darunter auch in die Hütte eines Bekannten «an einem See in der Schweiz».
Coel zeigte das Drehbuch zu «I May Destroy You» 2017 als Erstes Netflix. Die Bosse des Streaming-Giganten waren begeistert und boten ihr 1 Million Dollar. Dafür musste sie aber alle Rechte abtreten und hatte kein Mitspracherecht beim Dreh.
Coel zögerte und sagte daraufhin den entgeisterten Netflix-Leuten ab. Sie kontaktierte den Mann bei der BBC, der sie damals entdeckt hatte. Dieser versprach ihr die volle kreative Kontrolle beim Dreh, die Hauptrolle und dass sie die Rechte behalten dürfe. Coel: «Nach all den schlechten Erfahrungen, die ich mit der Branche gemacht hatte, schien es zu gut, um wahr zu sein.» Das war es dann aber doch.
Der Erfolg von «I May Destroy You» hat bei Coel ein Wechselbad der Gefühle ausgelöst. Die letzten fünf Jahre waren für sie ein «überwältigender Mix aus Euphorie und Schmerz», der ihre Kreativität weiter befeuert hat. Michaela ist bereit für die nächsten Herausforderungen – «für alles, was kommt!».