Man nehme eine Handvoll «Rocky», vermische es mit «Million Dollar Baby» und schütte eine Prise «Karate Kid» obendrauf – der neuen Kampffilm «Bruised» scheint Elemente von jedem grossartigen Sport-Film vermischt zu haben. Garniert mit einer nicht endenden Anreihung von Schicksalsschlägen, die selbst für einen französischen Beziehungstreifen zu dick aufgetragen wären. Warum man sich das handlungstechnisch überladene Actiondrama dennoch anschauen sollte, lässt sich in zwei Worte fassen: Halle Berry! Diese zeigt als ehemalige Mixed-Martial-Arts-Fighterin Jackie Justice ihre wohl beste Leistung seit ihrer Oscarrolle in «Monster’s Ball» vor zwei Jahrzehnten.
Berrys Justice war einst eine sehr erfolgreiche MMA-Profikämpferin, die sich ohne Erklärung ungeschlagen aus ihrem Sport zurückgezogen hatte. Sie ist Alkoholikerin, versucht sich (erfolglos) mit Gelegenheitsjobs wie Babysitten herumzuschlagen und lebt mit ihrem Ex-Manager (Adan Canto) zusammen, der sie verbal und körperlich missbraucht. Ihr Leben wird noch komplizierter, als Jackies sechsjähriger, schwer traumatisierter Sohn, den sie als Baby aufgegeben hatte, wieder in ihrem Leben auftaucht. Um das Melodrama komplett zu machen, hat Justice ein hochkompliziertes Verhältnis zur Mutter, wurde früh von ihrem Vater (dessen Kleinkind-Spitznamen sie als Kampfname führt) im Stich gelassen und als Teenager sexuell missbraucht (weshalb sie unter Panikattacken leidet). Eine lesbische Liebesaffäre mit ihrem weiblichen Coach und ein schmieriger Kampf-Promotor, der sie als Kanonenfutter sieht, wurden ebenfalls noch ins Drehbuch eingebaut. Sie werden von dem guten Geist in Jackies Ringecke (oder besser: vor ihrer Käfigtür) ausbalanciert: Ihr Trainer Pops (Stephen Henderson) ist die perfekte Kombi aus «Rocky»-Coach Micky und «Karate Kid»-Guru Mr. Miyagi.
Ohne all die klischeehaften Nebenhandlungen könnte man den visuell wie inhaltlich sehr düsteren Film ziemlich einfach zusammenfassen: Eine in die Jahre gekommene Ex-Fighterin bekommt die grosse Chance auf ein Comeback. Und somit die Möglichkeit, die Schmach ihrer Vergangenheit auszumerzen und mit einer grossen Kampfbörse einen Neuanfang zu starten. Der 55-jährigen (!) Berry in unglaublich guter, körperlicher Verfassung ist es zu verdanken, dass man als Zuschauer immer mehr in den Film hineingezogen wird. Die Hollywood-Schönheit hatte kein Problem damit, sich für ihren Part optisch zu entstellen. Man nimmt ihr auch sofort die Rolle als Ex-Profikämpferin ab – Berry ist fitter und durchtrainierter denn je. Am Ende ist es aber ihr Charisma und Mega-Talent, die den Film tragen – insbesondere in den Szenen mit ihrem kleinen Filmsohn Manny (Danny Boyd Jr.). Der Kleine schafft es ohne ein Wort zu sprechen, den Erwachsenen die Show zu stehlen. Gut gelungen ist auch die Choreografie der Kampfszenen, die in einer Mischung aus Echtzeit- und Zeitlupen-Sequenzen gezeigt werden. Und das ohne unnötigen Ekelfaktor mit spritzendem Blut und Nahaufnahmen auf Wunden. Immerhin hat «Bruised» zum Schluss nicht das erwartete Ende – und dennoch eine Art von Happy End.
Netflix | Drama
Mit: Halle Berry, Danny Boyd Jr., Stephen Henderson; Regie: Halle Berry
Berrys Top-Leistung macht einen eher mittelmässigen Film sehenswert
USA 2021, ab 24. November 2021