«Mir gefällt deine Energie, ich weiss bloss nicht, ob ich dich ernst nehmen kann», sagt TV-Koch Tim Mälzer in der neuen Netflix-Doku «Hausboot» zu Werber und Youtuber Fynn Kliemann (siehe weiter unten).
Dem Zuschauer geht’s ähnlich – und das vier volle Folgen lang. Die Doku begleitet nämlich Kliemanns Weg zum eigenen Hausboot. Nicht irgendein Boot, sondern jenes des deutschen Countrymusikers Gunter Gabriel (1942–2017).
Selbst erst 32, kannte Kliemann den Sänger kaum, ein anderer hingegen war seit je ein bekennender Fan: Entertainer Olli Schulz (47).
Schulz war es denn auch, der die Initialzündung zum «Hausboot»-Projekt gab. In der Zeitung las er, dass Gabriels Tochter Yvonne Koch (54) das Zuhause ihres verstorbenen Vaters im Hafen von Hamburg verkaufen möchte. Oder besser: verkaufen muss. Er hinterliess ihr nämlich über eine halbe Million Schulden.
Das brachte den umtriebigen Schulz auf die Idee, das Boot zum Rückzugsort für Musiker*innen und andere kreative Menschen umzugestalten. Ein paar Pinselstriche hier, ein paar Nägel dort – mehr würde da bestimmt nicht anfallen.
Allein mochte er das aber nicht anpacken und holte eben Kliemann ins Boot – wortwörtlich. Und das, obwohl sich die beiden kaum kannten. «Wenn es jemanden gibt, der Bock hat, mit mir dieses Boot aufzumöbeln, dann ist es Fynn Kliemann.»
Voller Enthusiasmus legen sie los – und kommen bald an ihre Grenzen. Schulz: «Das wird uns eine Menge Geld kosten, eine Menge Schweiss, aber hoffentlich keine Tränen.»
Tränen nicht, aber Unmengen von Nerven. Denn der Kahn entpuppt sich als maroder Schrotthaufen, den man im Grunde besser gleich versenken würde, wie ihnen der etwas bärbeissige ältere Herr Sommerfeld vom Hamburger Binnenschifffahrtskontor zu verstehen gibt.
Nun ja, so weit kommt es nicht. Oder wenn, dann nur in den Köpfen von Schulz und Kliemann, die ihren Kauf mehrmals bitter bereuen.
Herrlich etwa die Szene, wenn sie nach 6 Monaten auf dem Deck ihrer schwimmenden Grossbaustelle sitzen und erkennen: «100 Leute haben sich das Ding angeschaut. Keiner wollte es. War das ein Grund, misstrauisch zu werden? Nein, wir dachten: Geil! Glück gehabt!»
Es sind solche Momente, die die Doku sehenswert machen. Zwei so unterschiedliche Männer philosophieren über sich, das Leben und ihre trotz allem Verdruss wachsende Freundschaft. «Ich kann auf dich einfach nicht sauer sein», sagt Kliemann einmal über Schulz, «du kannst dich mit einem Spruch aus jeder Situation retten. Ich hab noch nie so jemanden gekannt.»
Selbstgebastelt
Mehrmals steht das Projekt auf der Kippe. Passend dazu erklingt einmal auch Gunter Gabriels grösster Hit aus dem Jahr 1974: «Hey Boss, ich brauch mehr Geld».
Woher dieses für den insgesamt zweijährigen Umbau immer wieder sprudelt, bleibt indes im Dunkeln. Zwischenzeitlich überlegen Schulz und Kliemann, andere offizielle Investoren wie eben Tim Mälzer an Bord zu holen. Schliesslich ziehen sie das Projekt aber alleine durch.
Sehr detailliert ausgebreitet wird der eigentliche Um- und Ausbau des Bootes. Für alle, die sich dafür nicht brennend interessieren, entstehen unnötige Längen. Da hätte man grosszügiger schneiden und das Ganze locker auf drei Folgen runterkürzen können.
Fast schon inflationär fallen Phrasen wie «Ey Alter», «Geil!» und «Scheisse!». Die gehören bei Kliemann und Schulz offenbar zum normalen Sprachgebrauch, für den Zuschauer bzw. Zuhörer werden sie mit der Zeit aber etwas nervig.
Dennoch schliesst man die beiden leicht durchgeknallten Typen irgendwie ins Herz. Gerade, weil sie trotz Hiobsbotschaften und Rückschlägen an ihrer gemeinsamen Vision festhalten und sie bis zum fast schon rührenden Ende durchziehen.
Wie sang doch Gunter Gabriel 2003 mit dem Briten Chris Howland in einem Duett: «Wahre Liebe gibt’s nur unter Männern».
Netflix | Dokuserie | 1 Stf. | D 2021,
Die Regisseurin Regina Schlatter hat das turbulente Projekt zwei Jahre lang begleitet.
Herrlich schräg und verspielt – mit ein paar Längen.
ab 9. März
Die Akteure