Vorne lieb, hinten fies

Kameraleute, die in die Regie wechseln, sind eher selten. Es gibt Ausnahmen wie den Briten Nicolas Roeg («Wenn die Gondeln Trauer tragen») oder den Holländer Jan De Bont, der von der klaustrophobischen Kamera in «Die Hard» zur Regie beim Actionknaller «Speed» fand. Ihnen eigen ist oft eine sehr hypnotische Bildsprache.

Die Kameralinse gegen den Regiestuhl tauschte nun auch der Pariser Benoît Delhomme (62), bekannt für Filme wie «Chacun cherche son chat» (1996) oder «A Most Wanted Man» (2014). Mit «Mother’s Instinct» gibt er sein Regiedebüt – und zwar gleich mit zwei gross aufspielenden Hollywoodstars.

Das spannende Psychodrama erzählt von den besten Freundinnen Alice (Jessica Chastain) und Celine (Anne Hathaway), die zu Beginn der 60er-Jahre als Nachbarinnen ein scheinbar perfektes Vorstadtleben führen. Beide haben gut verdienende Männer, neunjährige Söhne, die sie vergöttern, und ein prächtig herausgeputztes Einfamilienhaus.

An der Fassade des Glücks zeigen sich erste Risse, als Alice ihrer Freundin gesteht, dass sie als Hausfrau nicht zufrieden ist. Doch dann passiert etwas Schreckliches: Bei einem Unfall stirbt Celines Sohn – und aus den zwei Freundinnen werden Feinde. Die in Trauer versunkene Celine gibt Alice indirekt die Schuld am Unfall, während Alice das Verhalten von Celine immer seltsamer findet.

«Mother’s Instinct» ist ein elegant inszeniertes Remake des belgischen Films «Duelles» (2018) nach einem Buch von Barbara Abel (2012). Benoît Delhomme baut gleich zu Beginn eine hitchcocksche Stimmung auf, unheilvoller Soundtrack konterkariert die Familienidylle. Und die beiden Frauen beginnen nach dem Unfall einander misstrauisch zu beäugen, während vordergründig noch Cocktails und Smalltalk ausgetauscht werden.

Das doppelbödige Psychospiel spitzt sich zu, was zu einem Starduell zwischen Jessica Chastain (47) und Anne Hathaway (41) führt. Chastain mit ihrer aufgesteckten Tippi-Hedren-Frisur hat dabei die besseren Karten, denn ihre Alice hat mehr Nuancen, oszilliert gekonnt zwischen Mitleid und Misstrauen.

So wird aus dem subtilen Drama über Trauer und Schuld immer mehr ein fieser Thriller im Stil von «Die Hand an der Wiege» (1992). Das Finale ist aber derart überdreht, dass der Film am Ende in eine Farce kippt. Dem Unterhaltungswert tut das allerdings keinen Abbruch.