Selten war die Treppe hinauf zum Touristenmagnet Sacré-Cœur in Paris so lang und tödlich. Der weltweit gejagte John Wick (Keanu Reeves) sollte vor Sonnenaufgang bei der Kirche zu einem Duell erscheinen, doch bis nach oben stellt sich ihm ein Killer nach dem anderen in den Weg.
Und Wick schlägt, kickt und schiesst sich Zentimeter um Zentimeter nach oben, ein fast endloser Reigen tödlicher Nahkampfszenen. Es ist der stilisierte Höhepunkt einer vierteiligen Filmserie, die das moderne Actionkino prägt.
In den 80er-Jahren dominierten noch muskelbepackte Helden wie Arnold Schwarzenegger oder Sly Stallone, die breitbeinig mit der Waffe in der Hüfte gegen Drogenbosse («Red Heat»), Aliens («Predator») oder den Vietcong («Rambo II») kämpften. Mit «Stirb langsam» (1988) löste Bruce Willis als hartgesottener Cop am falschen Ort die Brachialbolzer ab.
Actionhelden mussten nicht mehr testosterongetränkt, sondern konnten auch introvertiert sein, wie Keanu Reeves in «Speed» oder Charakterköpfe wie Liam Neeson in «96 Hours 1–3».
Im modernen Actionkino sind vor allem zwei Richtungen angesagt: das überdreht Comichafte und das brutal Realistische. Die Actionszenen werden stets extremer, stilisierter, mit irren Verfolgungsjagden: So fliegen in der «Fast & Furious»-Reihe Autos durch die Luft, oder im seelenlosen Netflixfilm «Gray Man» der Russo-Brüder geht halb Prag kaputt.
Ohne ausgeklügelte Spezialeffekte geht gar nichts mehr. Zugleich wurden die Stunts anspruchsvoller und gefährlicher: Tom Cruise hangelt in «Mission: Impossible 4» am Burj Khalifa in Dubai auf einer Fallhöhe von 700 Metern.
Da die Choreographie Insider-Knowhow verlangt, sitzen auf dem Regiestuhl inzwischen Stuntleute wie Chad Stahelski (54). Der Amerikaner begann als Stuntkoordinator und Double für Keanu Reeves in «The Matrix» und übernahm mit Berufskollege David Leitch («Bullet Train») die Regie bei «John Wick». Als Martial-Arts-Experte brachte er asiatische Nahkampftechnik rein, was den Kampfszenen eine enorme physische Gewalt verleiht.
Im Gegensatz zum Stakkato-Schnitt eines Michael Bay («Bad Boys») sind die Einstellungen lang, die Choreographie klar. Das hält das Budget («John Wick 1»: 30 Mio.) tief, denn es braucht weniger Kameras. Wichtig ist auch Keanu Reeves, der viele Kung-Fu-Stunts selber ausführt.
Was bei «John Wick» als Rachefilm in einer eigenartigen Parallelunterwelt begann, wird in Teil 4 zu einer überlangen Serie von Nahkämpfen in extremis – ein Totentanz der Hyperkinetik. Als Wick ein Mitglied der Hohen Kammer eliminiert hat, lässt ein französischer Marquis (Bill Skarsgård) unzählige Killer auf Wick los.
Von einer Story bleibt wenig übrig, die Actionszenen aber sind grandios abgefahren – darunter eine Autojagd ohne Türen um den Arc de Triomphe.
Den Adrenalinpegel hoch hält auch die «Mission: Impossible»-Reihe. Regisseur Christopher McQuarrie hat mit Tom Cruise einen verblüffenden Realismus entwickelt: zum Beispiel in Teil 6 beim Halo-Sprung aus einer Boeing (den Cruise selber ausführte) oder beim halsbrecherischen Heliflug am Ende. Am 13. Juli startet Teil 7, mit Cruise auf einem fahrenden Zug und einem Klippen-Motorradstunt.
Auch «John Wick 5» ist bereits angekündigt, viel länger und extremer kann die Action aber kaum mehr werden.
Actionfilm
Mit Keanu Reeves, Bill Skarsgård, Donnie Yen
USA 2023, ab 23. März im Kino