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Kino – «Memory»

Flirt ohne Gestern

Im mexikanischen Drama «Memory» verliebt sich Jessica Chastain in einen Mann ohne Gedächtnis.

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Sylvia (Jessica Chastain) kümmert sich  um den dementen Saul (Peter Sarsgaard).

Sylvia (Jessica Chastain) kümmert sich um den dementen Saul (Peter Sarsgaard).

filmcoopi, Zürich
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Antonio Gattoni

Kennen wir uns?», fragt Lucy alias Drew Barrymore irritiert ihr Gegenüber, gespielt von Adam Sandler. Dabei haben die zwei schon etliche Dates hinter sich. Sie kann sich aber nicht mehr erinnern, leidet unter Kurzzeitgedächtnisverlust. Die Komödie «50 First Dates» (2004) lebt davon, dass Sandler immer wieder von neuem Barrymores Herz erobern muss. Mit jemandem liiert zu sein, der stets vergisst, was gestern war, kann anstrengend sein.

Um den Verlust des Gedächtnisses geht es auch im mexikanischen «Memory», weniger lustig, dafür tiefgründiger. Was wir erinnern, entscheidet letztlich darüber, wer wir sind, doch das Gedächtnis kann auch täuschen, wie der Film zeigt. Im Zentrum steht die alleinerziehende Mutter Sylvia (Jessica Chastain), die als Sozialarbeiterin in einem Pflegeheim arbeitet. Sie ist als ehemalige Trinkerin selbst angeschlagen, nimmt an Meetings der anonymen Alkoholiker teil.

Als sie eines Abends ein Highschool-Jahrgangstreffen besucht, folgt ihr auf dem Heimweg ein Mann. Am nächsten Morgen sitzt er immer noch vor ihrer Haustür. Was der Beginn eines Stalker-Thrillers sein könnte, entwickelt sich völlig anders, denn der Mann, er heisst Saul (Peter Sarsgaard), leidet an Demenz, weiss nicht mehr, warum er ihr gefolgt ist. Sylvia bringt ihn zu seinem Bruder Isaac, der sich um ihn kümmert. Doch die Begegnung lässt Sylvia nicht los, sie trifft Saul wieder, bis Isaac ihr einen Job als Sauls Betreuerin anbietet. Schnell kommen sich die beiden näher, obwohl Sylvia in Saul jemanden vermutet, der sie als 12-Jährige belästigt hat. Doch kann sie ihrer Erinnerung trauen?

«Memory» ist ein langsam erzähltes Drama, quasi in Zeitlupe, ohne zuspitzenden dritten Akt. Weil da zwei Menschen zusammenkommen, die sich selber suchen, ergibt sich eine besondere Intensität. Sylvia weiss nie, ob Saul sie beim nächsten Mal überhaupt noch kennt, und sie selbst scheint so viel zu verdrängen, dass nicht klar ist, ob sie nun die Wahrheit sagt. Diese Ungewissheit öffnet ihre Beziehung umso stärker für den Moment.

Der Mexikaner Michel Franco (44) gehört zu den sperrigsten Regisseuren der Gegenwart. Oft geht es in seinen Filmen um eine Ordnung, die völlig aus den Fugen gerät. So erzählt er in «New Order» von einem Aufstand in Mexiko City, der über eine Hochzeitsgesellschaft hinwegfegt und die Kluft von Arm und Reich in Anarchie auflöst.

In «Sundown» (2021) macht Tim Roth Ferien in Acapulco und vergisst alles, lässt sein altes Leben und seine Freunde einfach zurück. Das Beängstigende an Francos Filmen ist, dass sie keine Erklärung für den Verlust der bisherigen Gewissheit liefern, dass die Zuschauer nicht sicher sind, was wahr ist.

Das gilt auch für «Memory»: Sylvia und Saul begegnen sich ohne Sicherheitsnetze und verlieren sich ineinander. Und auch wenn Sauls Demenz kaum weiter erklärt wird, ist der Film dank den Schauspielern ergreifend ehrlich.

Memory

Drama

Mit Jessica Chastain, Peter Sarsgaard, Brian Kelly 

USA 2023, ab 6. Juni im Kino

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Von Antonio Gattoni am 5. Juni 2024 - 08:58 Uhr